Die Magie der Pilze
Eine Rezension von Prof. Dr. Berthold Thomas, Am Zaukenfeld 13,
01259 Dresden
Nachdem im Tintling 1/98 das Buch „Die
Heilkraft
der Pilze“ von J. Lelley zu Recht
kritisiert worden
ist, ist mit „Die Magie der Pilze“ von Clark
Heinrich unlängst ein weiteres Buch erschienen, das zu Kritik
und Vorsicht Anlaß gibt.
Ausgehend von bekannten Anwendungen psychedelischer Pilze meist im
Zusammenhang mit kultischen oder religiösen Handlungen (als
Paradebeispiel wird Indien ausführlich abgehandelt)
entwickelt der Autor der „Magie der
Pilze“ im Kernstück des Buches eine
Theorie, nach der die Entstehung und Entfaltung sowohl der
jüdischen als auch der christlichen Religion im Wesentlichen
auf den Verzehr von Fliegenpilzen zurückzuführen ist.
Von Pilzen also,
die im Gebiet Israels kaum zu finden sind.
Dabei wird die Bibel auf entscheidende Ereignisse abgeklopft, die sich
aus heutiger Sicht rätselhaft, dubios oder mindestens seltsam
lesen (das wird vom Autor agitatorisch geschickt in Szene gesetzt), und
dann erfährt der Leser die einzig annehmbare Deutung der
jeweiligen Begebenheit: man hat Fliegenpilze verzehrt. Um nur ein paar
Beispiele zu nennen: der Sündenfall, das eigenartige Verhalten
des Abraham, der seinen Sohn Isaak opfern wollte, die Geschichten, die
sich um die zehn Gebote ranken, die Wunder Jesu von der Hochzeit zu
Kana bis zur Erweckung des Lazarus, der Sinneswandel vom Saulus zum
Paulus, alles das wird augenblicklich verständlich,
wenn man davon ausgeht, daß wenigstens einer der Beteiligten
im rechten Moment Fliegenpilze zu sich genommen hat. Und im
übrigen kann man ein Hochgefühl, wie es
Religionsstifter aller Couleur beim Finden und Verbreiten
ihrer Lehren zweifellos benötigten, ohne Fliegenpilze gar
nicht erreichen. So könnte ich mir z.B. Nietzsche vorstellen,
wie er, bevor ihn im Winter 1883 die Inspiration zum Zarathrustra
überkam, noch rasch ein paar getrocknete Fliegenpilze
aufweichte und verschlang und dann in den Klippen um Rappalo selig
herumhüpfte. Absurd! Aber nicht nur das Göttliche
verlangt den Fliegenpilzfresser.
Wie am Beispiel der Alchimisten vom
Autor gezeigt wird, stelle man sich auch den
Naturwissenschaftler (und die Besten unter den Alchimisten
waren Naturwissenschaftler) niemals ohne die notwendige Portion
Fliegenpilze vor. Die Moral von der Geschichte: wenn etwas
Gescheites entstehen soll, muß der Verstand abheben (sprich
aussetzen). Viel Gescheites kann entstehen, wenn der
Rauschmittel-Konsum nur groß genug ist.
Um den Eindruck von wissenschaftlicher Seriosität zu erwecken,
wird eine Fülle von Literatur zitiert. Beweise, die einer
wissenschaftlichen Prüfung standhalten, sind jedoch kaum zu
finden. Was mich aber am deutlichsten zu dem Urteil gedrängt
hat, das vorliegende Werk als hanebüchenen Unsinn
einzustufen, war der Umgang des Autors mit den wenigen
wirklich überprüfbaren Fakten des Buches,
nämlich den Giften des Fliegenpilzes und der damit verbundenen
Chemie:
Da wird als wirksame Substanz stets das Muscarin angesprochen,
obwohl dessen Gehalt im Fliegenpilz von 3 ppm mit Sicherheit nicht
entscheidend sein kann. Beim Trocknen der Pilze soll aus der
Ibotensäure aber jede Menge Muscarin gebildet werden.
Wie das gehen könnte, ist mir schleierhaft. Bekannt ist
hingegen (und das hätte der Autor aus jedem beliebigen Buch
über Pilzgifte entnehmen können, ja müssen),
daß Ibotensäure durch Decarboxylierung
in Muscimol übergeht und daß Muscimol als
Rauschmittel mehrfach wirksamer ist als Ibotensäure.
Was bleibt?
Ein paar wunderschöne
Bilder von Fliegenpilzen und
sehr viel Spinnerei.
Ähnlich wie seinerzeit F. Th. Vischer in
seinem Bestseller „Auch einer“ alle bösen
Schicksalswendungen auf den „Pfnüssel“
(Husten, Schnupfen, Heiserkeit) zurückgeführt hat
(wobei aber angemerkt werden muß, daß es sich bei
Vischer um meisterhafte Satire handelt:
Gib o Grippo,
Lurch im Urstrupp,
Daß
Hirnstockschnupp
Feind´s
Kraft schwäche),
bleibt bei Clark Heinrich (der im Gegensatz zu Vischer ernst
genommen werden will) für alles, was bisher an Bemerkenswertem
geschah und was noch geschehen wird, stereotyp nur eine
Erklärung:
Amanita
muscaria
Vielleicht sehen andere Pilzfreunde, die sich mit diesem Buch
befaßt haben, die Sache lockerer als ich,
aber ich würde vor diesem Machwerk warnen.
Es sei denn, man nimmt es witzig.
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