Leserbrief von Stefan Zinke, 01159 Dresden, zu Tintling 124 Speisewert: Strittig Folge 19: Röhrlinge Teil 1: Dickröhrlinge s.l. S. 37-49

"... im Moment ist die Pilzwelt im Umbruch begriffen und zwar in einem Maß, dass es so manch einem sogar die Lust an den Pilzen verleidet. Unreife Sequenziermethoden, freiwilliges oder angeordnetes Publizieren im Turbogang und nicht zuletzt persönliche Eitelkeiten sorgen dafür, dass die Leute der ganzen neuen und dann wieder alten neuen Namen in den Datenbanken nicht mehr hinterherkommen."

Dazu möchte ich gerne etwas weiter ausholen. Beim ersten Lesen dieser Zeilen musste ich spontan an das unterhaltsame "Interview" zwischen einem Schopftintling und einer Kuh aus Tintling Heft 35 denken. Damals wurde die Spaltung der ehemaligen Großgattung Coprinus thematisiert. Klar, aus damaliger Sicht war das schon ein großes Thema, was auf den ersten Blick unsinnig erschien. Die Gattung Coprinus existierte bis dato für einen langen Zeitraum und es war erstmal unverständlich, warum sie auf einmal aufgespalten wird. Aus heutiger Sicht hingegen macht das in jedem Fall Sinn, denn diese Aufspaltung zeigte sich auch morphologisch. Aufgrund des unterschiedlichen Aufbaus der Huthaut und des Velums, bzw. auch dessen Vorhandensein, ist die Trennung zwischen Coprinellus, Coprinopsis und Parasola  mehr als gerechtfertigt.  Bei der Gattung Coprinus s. st. wurde zeitgleich genetisch, wie auch morphologisch gezeigt, dass diese viel näher mit der Gattung Agaricus (ähnlicher Rhizomorphenaufbau) verwandt ist als mit den restlichen Tintlingen.

Ebenso konnte mittels Sequenzierung bestätigt werden (aufgrund morphologischer und chemotaxonomischer Untersuchungen war das schon lange bekannt), dass es Pilzarten mit Lamellen gibt, die gar nicht zu den Agaricales gehören. Die Kremplinge, Gelbfüße/Schmierlinge gehören zu den Boletales und die Täublinge und Milchlinge zu den Russulales. Bei den Heftelnabelingen (Rickenella sp.) hingegen wurde erst durch die Sequenzierung gezeigt, dass diese in die Borstenscheibenverwandtschaft (Hymenochaetales) gehören. Diese Erkenntnis hat seinerzeit für Furore gesorgt.

Dadurch wurde es erst möglich mehr über die Evolution und Verwandtschaftsverhältnisse der Pilze zu lernen, denn nicht das Vorhandensein von Lamellen entscheidet über die Verwandtschaftsbeziehungen, sondern bestimmte (mikro)morphologische Merkmale oder aber die Fähigkeit für bestimmte Stoffwechselprozesse, wie z.B. Braun- oder Weißfäule.

Aus diesem Grund warne ich dringend davor, Erkenntnisse von Sequenzierungen aus "Angst vor Veränderung" abzulehnen. Die Gattung Suillellus zeichnet sich z.B. durch eine amyloide Stieltrama aus, die bei den anderen Gattungen der Dickröhrlinge fehlt. Natürlich hätte die alte Gattung "Boletus" so stehen bleiben, dafür aber in einzelne Untergattungen, ähnlich bei den Cortinarien, unterteilt werden können. Die erfolgte Aufteilung in die "neuen" Gattungen, bzw. die Gruppierung der einzelnen Arten macht aber in jedem Fall auch morphologisch Sinn. Auch hat die Sequenzierung ergeben, dass bestimmte makroskopische Merkmale wieder in den Fokus rücken. Bei den Kornblumenrörhlingen beispielsweise ist das Vorhandensein eines Scheinringes ein wichtiges Bestimmungsmerkmal.

Stichwort "unreife Sequenziermethoden": Das Prinzip und die Technik dahinter besteht schon seit über 20 Jahren. Im Gegenteil, die apparative Technik wurde deutlich verfeinert/verbessert. Ich habe in der Schule und im Biochemiestudium noch die "alte Methode" mit 4 Reaktionsansätzen (für jedes Nukleotid der DNA eine) gelehrt bekommen. Heute ist es möglich, aufgrund der sehr guten Trennleistung der Kapillarelektrophorese nur noch einen Ansatz zu fahren. Die erhaltenen Sequenzen sind im Regelfall, bis auf ein paar wenige Ausnahmen, stimmig und unproblematisch.

Die Sequenz an sich ist, wie bereits gesagt, nicht das Problem. Das Problem ist eher die arbeitsaufwendige Nachbearbeitung/Auswertung der erhaltenen Sequenz und der menschliche Faktor (Stichwort: "freiwilliges oder angeordnetes Publizieren im Turbogang und nicht zuletzt persönliche Eitelkeiten"). Die Auswertung hat erstmal nur noch wenig bis gar nix mehr mit Biologie zu tun. Die Sequenz wird hergenommen und mit anderen Sequenzen aus Datenbanken des untersuchten DNA-Abschnitts verglichen. Dies erfolgt ausschließlich mittels nicht mehr überschaubaren statistischen Methoden, wie z.B. mit der "Maximum-Likelihood-Methode". Die Sequenzen werden in Computerprogramme eingespeist, bestimmte statistische Kenndaten werden vorgegeben und den "Rest" erledigen Computer. Ich persönlich halte es nun durchaus für möglich, dass eine wiss. Arbeitsgruppe mit besonders hohem Publikationsdruck dann diese so erhaltenen Ergebnisse/Stammbäume veröffentlicht, ohne auch geprüft zu haben, ob sich die Ergebnisse konstant in bestimmten Merkmalen bei der jeweiligen Art auch phänotypisch zeigen. Bei meinen wiss. arbeitenden PilzfreundInnen und MentorInnen, weiß ich, dass dies nicht der Fall ist. Was diese veröffentlichen hat Hand und Fuß. Wichtig dabei ist auch eine geeignete Auswahl der DNA-Sequenz. Meist wurde früher allein die sog. ITS-Sequenz hergenommen. Inzwischen aber weiß man, dass Untersuchungen mit dieser allein durchaus kritisch sind, weswegen jetzt mehrere DNA-Sequenzen untersucht werden. Bei der Überarbeitung der Hebelomen (Fungi Europaei Band 14) waren es 7 oder 8.

Mir persönlich war es mal wichtig, dazu mal ein paar (er)klärende Sätze zu schreiben, denn die Sequenzierung ist für viele Leute ein Reizthema, das verstehe ich. Ich kann nur dafür werben, sich ein bisschen mehr Gelassenheit zu dem Thema anzueignen. Vieles wird publiziert, davon wird wieder einiges revidiert. Das ist Wissenschaft! Einiges, über das wir uns aktuell wundern/aufregen, wird sich vielleicht bald wieder von selber regeln.

Noch ein kurzes Wort zu den Datenbanken. Die sind an sich nicht dafür gedacht, aktuelle Pilznamen für jeden Pilz aufzulisten. Es sind eher Nachschlagewerke für Synonyme. Aktuelle Namen entnehme ich immer der Tax-Ref-Liste von Pilze Deutschlands. Die wird einerseits regelmäßig überarbeitet, andererseits wird dort auch etwas abgewartet, bis sich neue Namen für Pilze auch wirklich etabliert haben. Eine Sache aber ist noch sehr wichtig. Die Pilze bleiben die gleichen, nur die Namen ändern sich und auch der „Zwang“ immer sofort die aktuellsten Namen für die Pilze zu verwenden ist in meinen Augen übertrieben, wo wir dann schon wieder bei dem Thema Gelassenheit wären.

Über das ganze Thema Sequenzierung ist es mehr als Wert im Tintling dazu 1-2 Artikel zu schreiben. Ich arbeite daran auch sehr gern mit, allerdings brauche ich Hilfe insbesondere bei den mathematischen Details der Auswertung. Über eine Meldung eines (oder auch 2-3)  kundigen Interessenten würde ich mich sehr freuen.


Tintling