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Judasohr Auricularia auricula-judae

Foto: Fredi Kasparek

Judasohr, Holz-Ohr, Mu-Err - Auricularia auricula-judae

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Es wäre reine Spekulation anzunehmen, daß es ein kleiner Trost für Werner Häubling gewesen wäre, wenn er gewußt hätte, daß die unangenehmen Störfälle in diesem Sommermonat mit dem Schreiben des Dr. Feuersturm erst einmal ein Ende hatten.
Es war in der Tat der vorerst letzte der Briefe
mit den freundlichen Grüßen und dem unfreundlichem Inhalt.

Häubling war geschlagen, am Boden zerstört. Und das, obwohl sich eine zögerlich wieder normalisierende Kundenfrequenz an seinem Stand bemerkbar zu machen begann. Der Rubel rollte vor Ort sozusagen wieder. Das täuschte aber nicht darüber hinweg, daß sich Häubling`s Leben gewaltig verändert hatte. Montags mußte er wie ehedem nach Paris fahren und überhaupt mußte er Karljohan`s Arbeit noch zusätzlich erledigen. Eine ungeheure Leistung, und das in einem Alter, wo er ganz allmählich feststellen mußte, daß seine Kräfte und seine Energie nicht mehr die gleichen waren wie vor zwanzig Jahren.
Ungeliebt und von allen verlassen
saß er in seinem bombastischen Haus zwischen seiner bombastischen Gemäldesammlung und zwischen seinem bombastischen Tresorinhalt. Gelegentlich hatte er daran gedacht die Gemäldesammlung zu Geld zu machen, ja überhaupt alles zu verkaufen und wieder in sein schönes Fachwerkhaus zu ziehen. Dort hätte er alles, was er brauchte, würde seinen Verpflichtungen aus der durch seinen unfähigen, jetzt vermutlich in der Hölle brutzelnden Hundesohn verursachten Giftpilzkatastrophe nachkommen und ganz von vorn anfangen. Ein anderes Mal wollte er seine knapp zehn Millionen flüssig machen und sich damit nach Brasilien absetzen. Spätestens am nächsten Morgen verwarf er alle diese Gedanken wieder. Er könnte ja auch soviel Geld wie möglich in die Schweiz bringen und hier in Anbetracht der horrenden Forderungen einen Offenbarungseid leisten. Er wäre damit nicht der erste in seinem Kollegenkreis. Nur mit dem Unterschied, daß die meisten anderen wirklich mittellos waren. Er nicht, denn er hatte ja außer seinen vier Häusern noch die Gemäldesammlung und die Diamanten. Sicher, wenn er die Sachen überstürzt verkaufen würde, würde ihm das bestimmt eine halbe Million an Verlusten bescheren, wenn nicht mehr. Aber das, was übrigblieb, wäre immer noch genug. Mag sein, daß es sich als kleiner Nachteil erweisen würde, daß er sein ganzes Geld in Kunst und in diesen Glitzersteinen angelegt hatte und nicht in Wertpapieren, Lebensversicherungen oder so. Das war ja in erster Linie eine Frage der Diskretion. In Zeiten des grenzüberschreitenden Bankings waren die Konten und ihre Inhaber gläsern geworden und die ganze propagierte Verschwiegenheit war keinen Pfifferling mehr wert.
Da waren Kunstobjekte und Diamanten schon sicherer.

Nein, es bestand kein Grund zur Sorge, er würde alles auf sich zukommen lassen.
Gleich gehts weiter , an anderer Stelle in diesem Ordner
 
Tintling 4/2010