Violetter Rötelritterling Lepista_nuda

Violetter Rötelritterling Lepista nuda


Keine Frage, er war der Chef und dann kam lange nichts.
Aber er wollte seine junge Gattin doch eher als gebieterische Stellvertreterin betrachtet wissen, als dass er sie auf eine Stufe mit seinen Verkäuferinnen, diesen - wie er stets betonte - dummen und faulen Hühnern, gestellt hätte. Wie auch immer: Gundula war weder eine Führungskraft noch eine Marktfrau und würde beides offensichtlich auf Dauer auch nicht sein. Die künstlerische Ader, die sie zweifellos hatte, war nicht zu versilbern, jedenfalls nicht in seinem Gewerbe. Damit mußte er sich wohl oder übel abfinden. Abgesehen davon fiel es ihm unsäglich schwer, stumm zu schlucken, wenn Gundula sich nach seiner Meinung auf dem Markt schusselig und geschäftsschädigend anstellte. Das Ergebnis waren häusliche Szenen nach diesen verhaßten Markttagen, die für Werner fast ebenso scheußlich waren wie für Gundula.

Nach kaum drei Monaten Ehe gab er die Umschulungs- und Erziehungsversuche auf.
Gundula fuhr von dieser Zeit an sehr selten und nur im äußersten Notfall mit ihm auf den Markt. Dafür hielt sie ihm zuverlässig und klaglos unliebsame Angelegenheiten vom Hals, führte den Haushalt vorbildlich und gebar ihm nach einem knappen Jahr Ehe einen Sohn. Bei der Geburt wäre die zarte Gundula um ein Haar gestorben, so daß Karljohan, so nannten die Eltern den Jungen, das einzige Kind würde bleiben müssen. Die wenigen Male, da Gundula Häubling trotz aller Widrigkeiten in der Folgezeit doch noch mit auf den Markt fuhr, war der kleine Karljohan dabei und schlief entweder in einer Bananenkiste unter dem Stand oder er erkundete schon im Krabbelalter neugierig alles, was es an einem solchen Stand zu erkunden gab. Im Gegensatz zu Gundula fühlte sich „Klein-Johnny“ auf dem Markt pudelwohl. Er lernte früher mit der Waage umzugehen als zu laufen und lange bevor er in die Schule kam, konnte er Geld zählen und Wechselgeld richtig herausgeben.
Daß Kindergartenplätze zu seiner Zeit eher die Ausnahme als die Regel waren, störte Karljohan nicht im mindesten. Kein Kindergarten der Welt hätte dem Kleinen bieten können, was er auf dem Markt alles erleben durfte. Bald fuhr er auch ohne Begleitung seiner Mutter mit auf den Markt und thronte stolz neben seinem Vater auf dem Beifahrersitz des Lieferwagens. Alle, die ihn kannten, liebten den kleinen Goldschatz: die Kunden ebenso wie die Kollegen. Für die ständig umhergescheuchten Gehilfinnen des Standinhabers war er gar der Sonnenschein in einer von Gewitterwolken verhangenen Arbeitswelt.
Vater Häubling war uneingeschränkt stolz auf ihn.
Die nächste Folge kommt bestimmt - irgendwo. Tintling 2/2011

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