Schönfußröhrling Boletus calopus Ein weiterer, wesentlich tragischerer Unfall ereignete sich in den frühen Abendstunden auf der nassen Fahrbahn einer kurvenreichen Strecke durch ein Waldgebiet. Der Fahrer der schweren Kawasaki hatte nicht viel Sinn für die Gefahren, die frühwinterliche Straßenverhältnisse bei Dämmerung bereithalten. In einer langgezogenen Kurve kam er infolge überhöhter Geschwindigkeit ins Schleudern, wurde aus der Kurve herausgetragen und über die Leitplanke hinweg an den Felsen geschleudert. Es gibt keinen Helm, der in dieser Situation etwas hätte bewirken können. Seiner lag in tausend Scherben verstreut am Unfallort. Als der Krankenwagen eintraf, war der erst siebenundzwanzig Jahre alte Bäckergeselle Tobias Gabriel praktisch tot. Den verbissen kämpfenden Ärzten gelang zunächst eine Reanimation und danach eine Stabilisierung seines Kreislaufes. Das war aber auch das einzige, was sie für den verwegenen Fahrer erreichen konnten. Der Verunglückte hatte schwerste Kopfverletzungen davongetragen und zahllose Knochenbrüche. Durch das massive Schädelhirntrauma des Unfallopfers war selbst nach einem dreißigminütigen EEG keinerlei Hirntätigkeit mehr zu erkennen. Einschlägige Untersuchungen wurden in den folgenden Tagen wiederholt durchgeführt, bis man zu dem unumstößlichen Schluß kam, daß nur das Beatmungsgerät eine Aufrechterhaltung des Kreislaufes gewährleistete. Der junge Patient war hirntot. Dr. Gustav Lindau war der erste, der die Mutter des Jungen, Mechthild Gabriel, auf eine mögliche Organentnahme ansprach. Sie, die sie so oft es ging, so nah wie möglich bei ihrem Sohn weilte, war entsetzt. Niemals würde sie eine derartige Zustimmung geben. Tobias war ihr einziges Kind und sie hatte es bekommen, als sie die vierzig schon überschritten hatte, auf den letzten Drücker sozusagen und nur mit vorhergehender medizinischer Assistenz. Nein, wenn er schon ins Grab mußte, dann unversehrt. Aber selbst das Grab lag für sie in weiter Ferne. Ihr Schmerz war unendlich. Fortsetzung folgt
Tintling
1997 |