Orangeroter Ritterling Tricholoma_aurantium

Orangeroter Ritterling Tricholoma aurantium

Aufnäher, Aufbügler, Sticker, Applikationen


Kurz entschlossen steckte er das Schreiben ins Faxgerät, 

schrieb dazu eine kurze Notiz und schickte das Ganze an seinen Steuerberater. Sollte doch die Betriebsprüfung in dessen Büro stattfinden. Sollte der sich darum kümmern, wofür bezahlte er ihn schließlich? Nicht die Angst vor Strafe, sondern die Angst vor dem Verlust seines Vermögens war es, die ihn in Panik geraten ließ. 

Geld und Freiheit, das waren die beiden Dinge, die in seinem Leben Bedeutung hatten, nichts sonst. 
Geld war im gewissen Sinne gleichbedeutend mit Freiheit und eines von beiden oder gar beides hergeben zu müssen würde ihn schlimmer treffen als alles andere. Unvorstellbar. Häubling standen die Schweißperlen auf der Stirn. Aber diese Gefahr drohte ja nicht. Er zwang sich zur Ruhe. Hier in seiner Privatvilla war beides sicher. Liebevoll, soweit ein solcher Begriff für den Grobian überhaupt passend war, betrachtete er seine kostbaren Gemälde, von denen allein im sechzig Quadratmeter großen Wohnzimmer an die zwanzig Stück hingen. Er ging durch die protzig möblierte Wohnung und musterte alles, was er mit seinen eigenen Händen erschuftet hatte. Würde er allein die Gemäldesammlung verkaufen, könnte er dafür gut und gerne drei bis vier Milliönchen erzielen, eher mehr. Fast zärtlich strich er über einen Rahmen um einen Van Gogh, der im ersten Stock in der geräumigen Diele hing. Es war sein Lieblingsbild und das einzige, das er gekauft hatte, weil es ihm optisch gefiel. Es war in tristen Erdfarben gehalten und zeigte einen Bauern, der mit einem Ochsenpflug einen Acker bearbeitete. 

Er suchte nach Gundula. Hier oben war sie nicht. Unten im Keller fand er sie endlich. Sie stand in ihrem Hausarbeitsraum, bügelte Wäsche und sah dabei gleichgültig fern. Gundula`s Gleichgültigkeit war allerdings nur gespielt. In Wirklichkeit schlug ihr das Herz bis zum Hals. Sie hatte längst bemerkt, welchen Sturm der Brief des Finanzamtes in ihrem Mann ausgelöst hatte. Sie hatte bang beobachtet, wie er seine Gemäldesammlung taxierte. Ganz ruhig bleiben, Gundula. Sie war lange genug mit diesem Kujon verheiratet, um zu wissen, was er in welcher Situation tun würde. Würde er jetzt, einen Tag vor ihrer letzten Aktion in diesem Haus, entdecken, was sie ihm angetan hatte, würde er sie erschlagen. So sicher wie das Amen in der Kirche. Sie hatte sich in drei Jahren harter Arbeit den verdienten Lohn für dreißig Jahre Ehehölle mit dieser Ausgeburt erwirtschaftet und nun sah sie ihren greifbar nahen Erfolg und ihr Leben von einer Minute zur anderen gefährdet. 

Der Pilz-Krimi geht andernorts weiter.
Tintling 5/2012