Gras-Tintling
Coprinopsis
friesii
Rudolf
Winkler - Buchbesprechung
Rudolf Winkler:
2000 Pilze einfach bestimmen.
AT Verlag Aarau. DM 148.-
Das System ist alt und doch faszinierend neu: Pilze bestimmen mit
Lochkarten. Vor mir liegt ein mehrteiliges Werk im stabilen Schuber,
bestehend aus einem Buch, einem Leitfaden, einer Gattungskarte, 120
Lochkarten und einer Diskette. Auch ohne lange Einleitungen studieren
zu müssen, erklärt sich der ungewöhnliche
Gattungsschlüssel praktisch selbst und wer nicht nur
„den
Winkler“, sondern auch einen Pilz zur Hand hat, kann sofort
loslegen. Herzstück des Ganzen ist die Gattungskarte, die
ebenso
wie die Lochkarten und der Leitfaden aus stabilem, versiegeltem Karton
bestehen, vorgesehen für langen, intensiven Gebrauch. Aus den
120
Lochkarten kann man zunächst diejenige(n) auswählen,
die ein
möglichst markantes makroskopisches Merkmal zeigen. Diese
werden
auf die - wahlweise in deutsch oder Latein vorliegende - Gattungskarte
gelegt und verdecken alle jene Gattungen, die der Bedingung nicht
entsprechen.
Im einfachen Fall genügen
bereits 3 oder 4
Karten, um
die Gattung sicher einzugrenzen, im komplizierten Fall (hier: der
Geschmückte Glockenschüppling Conocybe appendiculata)
braucht
es schon 13 Karten, und man hat immer noch die für den
Anfänger schmerzliche Wahl zwischen Conocybe
und Galerina.
Allerdings kommen gerade die
Einsteiger voll auf ihre Kosten: Der
Leitfaden ist - wie alle anderen Teile des Werkes -
äußerst
benutzerfreundlich und leicht verständlich, klar gegliedert
und
einfach zu handhaben. Jedes Merkmal ist knapp und deutlich beschrieben
und wenn nötig, illustriert. Es ist zudem
unmißverständlich definiert, in welchem Sinne die
jeweiligen
Fachbegriffe zu gebrauchen sind. Hat man nun mit Hilfe der Lochkarten
die Gattung bestimmt, tritt das Buch in Aktion. In diesem werden ca
2000 Arten aus 140 Gattungen nach makroskopischen Merkmalen
ausgeschlüsselt und stichwortartig beschrieben. Verwandte
Kleingattungen (z.B. die große Schar der Nabelingsartigen)
werden
aus praktischen Gründen zusammengefaßt und gemeinsam
geschlüsselt, auch dies wieder ausschließlich nach
makroskopischen Merkmalen. Eine Methode, die jedem sympathisch sein
muß, der sich daran erinnert, wie er sich als
Anfänger im
Gewühl der braun- oder weißsporigen Kleingattungen
verheddert hat.
Klein- oder Fettdruck weist
auf Seltenheit oder Häufigkeit
hin,
der Speisewert ist angegeben und es wird auf die evtl. vorhandene
Abbildung im hinteren Teil des Buches hingewiesen.
Dieser besteht aus ca. 500 farbigen Abbildungen der häufigsten
Arten, die allerdings gelegentlich etwas schärfer sein
dürften. Was mir daran besonders gut gefällt, ist die
Tatsache, daß bei etlichen Arten ein Fruchtkörper
längs
durchgeschnitten ist, so daß man schon an der
Standortaufnahme
Lamellenbreite und -ansatz sowie die Trama erkennen kann.
Ergänzt wird der ungewöhnliche Schlüssel
durch eine
Diskette, die unter Windows läuft und knapp ein MB auf der
Festplatte belegt. Die einfache Installationsanweisung steht auf dem
Etikett der Diskette und das problemlos laufende Programm
erklärt
sich praktisch selbst. Es handelt sich um die elektronische Form der
Lochkarten, ergänzt durch einfache Mikromerkmale, wie Sporen
und
Zystiden. Beliebig viele Kriterien können in der Menuleiste
angeklickt werden, wobei man sowohl den oder die Fruchtkörper
der
zu suchenden Pilzgattung als auch den Leitfaden zur Hand haben sollte.
Mit einem riesigen Fliegenpilz-verzierten
Button kann man die Auswahl
starten und erhält im günstigsten Fall die Anzeige
einer
einzigen (der richtigen) Gattung. Wenn, wie in den meisten
Fällen,
noch zwei oder mehrere Gattungen in Frage kommen, kann man das
Zwischenergebnis speichern und mit der Eingabe weiterer Merkmale
fortfahren. Zurück zum Buchtitel: Pilze einfach bestimmen ist
endlich möglich geworden, allerdings mit einer kleinen
Einschränkung: soweit die Pilze das mitmachen. Pilze sind und
bleiben nun mal sehr variable und schwer zu durchschauende Organismen
und gerade das macht sie ja so faszinierend. Und niemals werde ich
vergessen, was mir der viel zu früh verstorbene Johann
Stangl
aus
Augsburg einst schrieb: „Sie erliegen einem Irrtum, wenn Sie
glauben, daß sich jeder Pilz einordnen
läßt“. In
diesem Sinne kann man diesen kreativ erdachten und wirklich
benutzerfreundlich ausgeführten Schlüssel
uneingeschränkt empfehlen; man sucht seinesgleichen ohnehin
vergeblich in der Bestimmungsliteratur.
K. Montag
Tintling
2006