Zur Glosse "Von Flocki´s, Steini´s und Täuberln", Heft 3/2004

Lieber Herr Zehfuß,
ich habe lange gezögert, mit einer eigenen Meinungsäußerung auf Ihre Glosse im neuesten Tintling zu reagieren. Nach der heftigen Kritik, die im „pilzepilze-Forum“ im Internet geäußert wurde, wollte ich aber nun doch auch aus meiner Sicht ein paar Worte zu Ihrem Artikel sagen. Es bleibt mir freilich nichts anderes zu tun, als einige der längeren Beiträge aus dem „pilzepilze-Forum“ in meinen Worten zusammenzufassen. Ich wähle dabei aber bewußt den „klassischen“ Weg eines Leserbriefs, um der Hektik und Schnellebigkeit der Internet-Foren zu entfliehen. Ich wollte mir - um Sie zu zitieren - etwas „Zeit zum Überlegen“ lassen. Ich bezweifle allerdings, daß Sie sich bei der Abfassung Ihrer Glosse entsprechend viel Zeit und Ruhe genommen haben. Doch dieser polemisch klingende Vorwurf soll nicht unbelegt in den Raum geworfen werden.

Ich meine nämlich, daß man Ihre Glosse auf zwei Ebenen kritisieren kann, auf einer inhaltlich-thematischen und einer eher äußerlich-sprachlichen.

Zunächst zum Inhaltlichen. Sie schreiben völlig zu Recht, daß es zum Austausch von Meinungen eines angemessenen Umgangs mit dem Medium dieses Austausches, der Sprache, bedarf. Ihrer Feststellung „Eine Kultursprache hat festgelegte Wörter für feststehende Dinge.“ ist dabei an sich natürlich nicht zu widersprechen. Im Grunde basiert ja jede Sprache – ich lasse hier einmal außer acht, was unter einer „Kultursprache“ zu verstehen sein soll – auf der Übereinkunft einer Sprachgemeinschaft über den Bedeutungsgehalt ihrer Wörter. Ihre Bemerkung suggeriert aber eine Einheitlichkeit, die sich in der Realität in keiner Sprache und zu keiner Zeit tatsächlich finden dürfte. Es gibt doch zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedliche Begriffe für zu bezeichnende Phänomene, die im übrigen auch alles andere als statisch oder wohl definiert sein müssen. In Ihrer ganzen Glosse artikuliert sich ein erstaunlich ahistorisches Verständnis von Sprache – erstaunlich deswegen, weil Sie doch in dem Interview im Tintling explizit von Ihren historischen Interessen berichten. Vielleicht trage ich deswegen Eulen nach Athen, wenn ich ein Beispiel dafür bringe, in welchem Maße sich „festgelegte Wörter“ für „festgelegte Dinge“ wandeln können. So scheint doch die Frau ein wohldefiniertes „Ding“ zu sein (weiblicher Mensch), das mit einem festgelegten Begriff, eben „Frau“, bezeichnet wird. Man muß aber kein großer Kenner der deutschen Sprachgeschichte sein, um zu erkennen, daß sich dieses scheinbar feststehende Verhältnis zwischen Wort und Sache erheblich gewandelt hat. Im Mittelalter und bis weit in die Neuzeit hinein bezeichnet „Frau“ oder „vrouwe“ nicht einfach den erwachsenen weiblichen Menschen, sondern ist beschränkt auf einen „Sondertyp“ dieses „Dings“, die Herrin oder Edelfrau nämlich. Erst relativ spät, im 17. und 18. Jahrhundert beginnt das Wort in dem allgemeinen heutigen Sinn benutzt zu werden. Das „alte“ Wort für Frau war vielmehr „Weib“ oder „wip“, das wir heute höchstens noch pejorativ oder satirisch benutzen. 

Bei einem solchen historischen Verständnis von Sprache wird es äußerst schwer zu bestimmen, was „Manie zur Verkürzung und Beschneidung, scheinbar auch zur Verniedlichung“ ist und was schlicht den Beginn einer neuen sprachhistorischen Entwicklung markiert. Ihnen ist sicher bekannt, daß Sie sich in eine lange Traditionsreihe stellen, wenn Sie behaupten, daß gerade unsere Zeit in besonderem Maße zu „Verkürzungen und Beschneidungen“ neigt und den einzigen oder Hauptsinn dieser Verkürzungen darin sehen, „die Leser in die Irre zu führen“. Seit sich im frühneuzeitlichen Deutschland Tendenzen einer Vereinheitlichung der deutschen Schriftsprache bemerkbar machen, tauchen solche Vorwürfe auf, mit gewissen Höhepunkten im 18. und 19. Jahrhundert. Richtiger wurden diese Vorwürfe auch durch stetige Wiederholung nicht. Die heutige deutsche Hochsprache unterscheidet sich in vielen Hinsichten von der Sprache Luthers oder Goethes, sie hat allerlei Verkürzungen und „Verhunzungen“ erfahren, aber trotzdem ist sie noch genauso ausdrucksstark wie damals.

All diese Bemerkungen gehen aber letztlich an Ihrer Glosse vorbei, in der es ja nicht um allgemeine sprachphilosophische Betrachtungen, sondern um die Anprangerung eines konkreten „Mißstandes“ gehen soll. Ihre Behauptung, daß die Benutzung von abkürzend-verniedlichenden Wörtern zur Kennzeichnungen von Pilzgruppen oder –arten eine „Begriffs-Verstümmelung“ sei, die „Tatsachen faktisch auf den Kopf“ stelle und „Sinn […] zu Unsinn, Vernunft [zu] Plage“ werden lasse, ist dabei reichlich problematisch. Das ergibt sich – neben den allgemeinen Argumenten für ein historisches Verständnis von Sprache – aus den von Ihnen gebrachten Beispielen, die ziemlich heterogen sind.

Flocki“, „Steini“ und „Knolli sind sicherlich Neubildungen, die man in schriftlicher Form erst seit kurzem im Internet findet. Sie gehen offenbar auf entsprechenden mündlichen Sprachgebrauch zurück. Da sich das Internet in einem Grenzraum zwischen mündlichem und schriftlichem Sprachgebrauch  bewegt, halte ich es für durchaus legitim, hier umgangssprachliche Wendungen zu verwenden. Solange sich solche Wörter nicht allgemeinsprachlich durchsetzen, sind sie lediglich als umgangssprachliche Formen zu betrachten. Solche Formen hat es schon immer gegeben und wird es auch weiterhin geben, ohne daß das irgendwelche Auswirkungen auf den Sprachgebrauch einer Sprachgemeinschaft im ganzen hätte. Und selbst wenn sich diese Formen durchsetzen sollten: Warum eigentlich nicht? Wir benutzen hochsprachlich tagtäglich eine ganze Reihe solcher Kurzformen – denken Sie nur an den Verkehrbereich: Auto, Bus, Lok, Bahn usw. „Begriffs-Verstümmelungen“ sind eben keinesfalls per se sachlich nicht fundiert und begrifflich nicht festgelegt, wie Sie zu suggerieren versuchen. Ich lese die angesprochenen Formen auch nicht gern und benutze sie dementsprechend auch nicht. Es scheint mir aber so, daß sich das einzig und allein mit ästhetischen Motiven begründen läßt. „Steini“ oder „Flocki“ gefällt mir schlicht nicht. Es versteht sich dabei, daß eine solche Kritik rein subjektiv ist. Über Geschmack läßt sich bekanntlich trefflich streiten.

Die zwei anderen von Ihnen gebrachten Beispiele halte ich noch für weitaus unpassender.

Zunächst „Täuberln“. Es handelt sich hierbei offenbar um einen umgangssprachlichen, dialektal gefärbten Ausdruck für die Gattung Russula, deren Arten fachsprachlich gemeinhin als Täublinge bezeichnet werden. Es geht den Benutzern solcher Ausdrücke dabei sicher nicht um die „höhere Aufgabe“, „dialektbezogene[r] Begriffe über den Kulturraum hinaus, welchem sie entstammen“, zu verbreiten. Vielmehr wird auch hier ein umgangssprachlicher Ausdruck mehr oder weniger unbewußt benutzt. Das wäre aber doch allenfalls zu kritisieren, wenn es eine wirklich festgelegte Nomenklatur deutscher Pilznamen gebe. Davon sind wir aber doch, wie im „pilzepilze-Forum“ auch bemerkt wurde, weit entfernt. Ich weiß nicht, wie Sie Cantharellus cibarius agg. auf deutsch bezeichnen. Gibt es irgendeinen Grund Pfifferling, Reherl oder Eierschwamm vorzuziehen? Was das konkrete Beispiel Täubling angeht, ist mir im übrigen überhaupt nicht klar, wie Sie darauf kommen, daß die als Täuberl bezeichneten Pilze mit „Tauben“ zu verwechseln wären. Ich bin zwar alles andere als ein Kenner der südostdeutschen Dialekte, mir scheint aber doch deutlich zu sein, daß „Täuberl“ nichts anderes als eine, im Bayerischen übliche Diminuitivform  ist, die von „Täublingen“ und nicht von „Tauben“ ausgeht. Die entsprechende Form müßte dort wohl eher „Tauberl“ heißen. All das ist aber ohnehin irrelevant, da wir uns, wenn wir über Pilze sprechen, immer einer Fach- oder Sondersprache bedienen und von daher solche Verwechselungen, wie Sie von Ihnen beschrieben werden, sehr konstruiert wirken.

In noch höherem Maße gilt all das für den Maronenröhrling. Warum heißt Xerocomus badius wohl so? Man wird wohl annehmen dürfen, daß hiermit auf die Farbe der Kastaniensamen angespielt wird. Sollte also gar „Maronenröhrling“ eine verstümmelnde Verkürzung aus „maronenfarbiger Röhrling“ o.ä. sein? Als ich die Passagen zur Marone las, glaubte ich zwischenzeitlich wirklich, sie wollten sich einen Spaß erlauben. Der folgende Satz über die „Begriffs-Verstümmelungen“, die „Tatsachen faktisch auf den Kopf“ stellen, macht eine solche Deutung aber unmöglich.

Um meine inhaltliche Kritik noch einmal zusammenzufassen: Ich halte Ihre Anprangerung eines gewissen, von Ihnen als internetspezifisch dargestellten Sprachgebrauchs zur Bezeichnung von Pilzgruppen und Pilzarten für überzogen und vor dem Hintergrund des historischen Charakters von Sprache auch für unsachlich, was nicht zuletzt durch die unkluge Auswahl Ihrer Beispiele gestützt wird.

All das wäre nicht weiter der Rede wert, da Sie sich damit lediglich – ich schrieb es bereits – in eine lange Reihe von Sprachkritikern einreihen und es mit Sicherheit anspruchsvollere, kenntnisreichere und kritikwürdigere Beiträge zu Problemen unserer Gegenwartssprache gibt. Vor allem in Anbetracht der tatsächlichen Probleme, vor die die deutsche Sprachgemeinschaft mit Rechtschreibreform und Gegenreform gestellt ist, scheint Ihr Beitrag nicht weiter bemerkenswert. Es ist vielmehr die Art und Weise, in der Sie Ihre Kritik vortragen, die die Gemüter erhitzt hat. Jemand, der vorgibt, sich des „Kulturgutes Nr. 1, der Sprache nämlich“ in angemessener Weise bedienen zu können, der muß darauf gefaßt sein, gerade seiner Sprache wegen selbst kritisiert zu werden. Wenn man dann liest, mit welcher Munition Sie gegen „manchen Poster“ schreiben, wird einem schon etwas mulmig. Ich kann sehr wohl nachvollziehen, daß sich einige der angesprochenen Internetschreiber persönlich angegriffen fühlen, wenn sie von Ihnen zu Leuten gemacht werden, die aus dem Internet einen Müllhaufen machen, ihre Leser in die Irre führen wollen, Tatsachen auf den Kopf stellen. Diese Schreiber seien nicht in der Lage, „sich bei der Verbreitung ihrer Erkenntnisse eines sachlich fundierten und begrifflich festgelegten Wortschatzes zu bedienen“. Ihre „Postings“ seien „Unsinn“, eine „Plage“. Ich brauche Sie nicht daran zu erinnern, daß Sie damit nicht nur „Pilzküken“, sondern auch anerkannte Mykologen, wie etwa Christoph Hahn, verunglimpfen.  

Gelegentlich ist es doch besser, wenn der Schuster bei seinen Leisten bleibt. So sehr ich Ihre pilzkundlichen Beiträge schätze, sollten Sie es sich in Zukunft doch besser überlegen, in welcher Art und Weise Sie „Glossen“ verfassen, die nur am Rande etwas mit Pilzen zu tun haben. Seien Sie mir nicht böse, aber jemand, der sich, wie Jürgen Schreiner geschrieben hat, auf ein so hohes Roß setzt, muß zumindest mit dem Versuch rechnen, hinuntergestoßen zu werden.

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