Zur Glosse "Von Flocki´s, Steini´s und Täuberln", Heft 3/2004 Lieber
Herr Zehfuß, Ich
meine nämlich, daß man Ihre Glosse auf zwei Ebenen
kritisieren kann, auf einer inhaltlich-thematischen und einer eher äußerlich-sprachlichen. Zunächst
zum Inhaltlichen. Sie schreiben völlig zu Recht,
daß es zum Austausch von Meinungen eines angemessenen Umgangs
mit dem Medium dieses Austausches, der Sprache, bedarf. Ihrer
Feststellung „Eine Kultursprache hat festgelegte
Wörter für feststehende Dinge.“ ist dabei
an sich natürlich nicht zu widersprechen. Im Grunde basiert ja
jede Sprache – ich lasse hier einmal außer acht,
was unter einer „Kultursprache“ zu verstehen sein
soll – auf der Übereinkunft einer Sprachgemeinschaft
über den Bedeutungsgehalt ihrer Wörter. Ihre
Bemerkung suggeriert aber eine Einheitlichkeit, die sich in der
Realität in keiner Sprache und zu keiner Zeit
tatsächlich finden dürfte. Es gibt doch zu
unterschiedlichen Zeiten unterschiedliche Begriffe für zu
bezeichnende Phänomene, die im übrigen auch alles
andere als statisch oder wohl definiert sein müssen. In Ihrer
ganzen Glosse artikuliert sich ein erstaunlich ahistorisches
Verständnis von Sprache – erstaunlich deswegen, weil
Sie doch in dem Interview im Tintling
explizit von Ihren historischen Interessen berichten. Vielleicht trage
ich deswegen Eulen nach Athen, wenn ich ein Beispiel dafür
bringe, in welchem Maße sich „festgelegte
Wörter“ für „festgelegte
Dinge“ wandeln können. So scheint doch die Frau ein
wohldefiniertes „Ding“ zu sein (weiblicher Mensch),
das mit einem festgelegten Begriff, eben „Frau“,
bezeichnet wird. Man muß aber kein großer Kenner
der deutschen Sprachgeschichte sein, um zu erkennen, daß sich
dieses scheinbar feststehende Verhältnis zwischen Wort und
Sache erheblich gewandelt hat. Im Mittelalter und bis weit in die
Neuzeit hinein bezeichnet „Frau“ oder „vrouwe“ nicht einfach
den erwachsenen weiblichen Menschen, sondern ist beschränkt
auf einen „Sondertyp“ dieses
„Dings“, die Herrin oder Edelfrau nämlich.
Erst relativ spät, im 17. und 18. Jahrhundert beginnt das Wort
in dem allgemeinen heutigen Sinn benutzt zu werden. Das
„alte“ Wort für Frau war vielmehr
„Weib“ oder „wip“,
das wir heute höchstens noch pejorativ oder satirisch benutzen. Bei
einem solchen historischen Verständnis von Sprache
wird es
äußerst schwer zu bestimmen, was „Manie
zur Verkürzung und Beschneidung, scheinbar auch zur
Verniedlichung“ ist und was schlicht den Beginn einer neuen
sprachhistorischen Entwicklung markiert. Ihnen ist sicher bekannt,
daß Sie sich in eine lange Traditionsreihe stellen, wenn Sie
behaupten, daß gerade unsere Zeit in besonderem
Maße zu „Verkürzungen und
Beschneidungen“ neigt und den einzigen oder Hauptsinn dieser
Verkürzungen darin sehen, „die Leser in die Irre zu
führen“. Seit sich im frühneuzeitlichen
Deutschland Tendenzen einer Vereinheitlichung der deutschen
Schriftsprache bemerkbar machen, tauchen solche Vorwürfe auf,
mit gewissen Höhepunkten im 18. und 19. Jahrhundert. Richtiger
wurden diese Vorwürfe auch durch stetige Wiederholung nicht.
Die heutige deutsche Hochsprache unterscheidet sich in vielen
Hinsichten von der Sprache Luthers oder Goethes, sie hat allerlei
Verkürzungen und „Verhunzungen“ erfahren,
aber trotzdem ist sie noch genauso ausdrucksstark wie damals. All
diese Bemerkungen gehen aber letztlich an Ihrer Glosse vorbei, in der
es ja nicht um allgemeine sprachphilosophische Betrachtungen, sondern
um die Anprangerung eines konkreten
„Mißstandes“ gehen soll. Ihre Behauptung,
daß die Benutzung von abkürzend-verniedlichenden
Wörtern zur Kennzeichnungen von Pilzgruppen oder
–arten eine
„Begriffs-Verstümmelung“ sei, die
„Tatsachen faktisch auf den Kopf“ stelle und
„Sinn […] zu Unsinn, Vernunft [zu]
Plage“ werden lasse, ist dabei reichlich problematisch. Das
ergibt sich – neben den allgemeinen Argumenten für
ein historisches Verständnis von Sprache – aus den
von Ihnen gebrachten Beispielen, die ziemlich heterogen sind. „Flocki“,
„Steini“
und „Knolli“
sind
sicherlich Neubildungen, die man in schriftlicher Form erst seit kurzem
im Internet findet. Sie gehen offenbar auf entsprechenden
mündlichen Sprachgebrauch zurück. Da sich das
Internet in einem Grenzraum zwischen mündlichem und
schriftlichem Sprachgebrauch bewegt,
halte ich es für durchaus legitim, hier umgangssprachliche
Wendungen zu verwenden. Solange sich solche Wörter nicht allgemeinsprachlich durchsetzen,
sind sie lediglich als umgangssprachliche Formen zu betrachten. Solche
Formen hat es schon immer gegeben und wird es auch weiterhin geben,
ohne daß das irgendwelche Auswirkungen auf den Sprachgebrauch
einer Sprachgemeinschaft im ganzen hätte. Und selbst wenn sich
diese Formen durchsetzen sollten: Warum eigentlich nicht? Wir benutzen hochsprachlich
tagtäglich eine ganze Reihe solcher Kurzformen –
denken Sie nur an den Verkehrbereich: Auto, Bus, Lok, Bahn usw.
„Begriffs-Verstümmelungen“ sind eben
keinesfalls per se sachlich nicht fundiert und begrifflich nicht
festgelegt, wie Sie zu suggerieren versuchen. Ich lese die
angesprochenen Formen auch nicht gern und benutze sie dementsprechend
auch nicht. Es scheint mir aber so, daß sich das einzig und
allein mit ästhetischen Motiven begründen
läßt. „Steini“
oder „Flocki“
gefällt mir schlicht nicht. Es versteht sich dabei,
daß eine solche Kritik rein subjektiv ist. Über
Geschmack läßt sich bekanntlich trefflich streiten. Die
zwei anderen von Ihnen gebrachten Beispiele halte ich noch für
weitaus unpassender. Zunächst
„Täuberln“.
Es handelt sich hierbei offenbar um einen umgangssprachlichen,
dialektal gefärbten Ausdruck für die Gattung Russula,
deren Arten fachsprachlich
gemeinhin als Täublinge bezeichnet werden. Es geht den
Benutzern solcher Ausdrücke dabei sicher nicht um die
„höhere Aufgabe“,
„dialektbezogene[r] Begriffe über den Kulturraum
hinaus, welchem sie entstammen“, zu verbreiten. Vielmehr wird
auch hier ein umgangssprachlicher Ausdruck mehr oder weniger
unbewußt benutzt. Das wäre aber doch allenfalls zu
kritisieren, wenn es eine wirklich festgelegte Nomenklatur deutscher
Pilznamen gebe. Davon sind wir aber doch, wie im „pilzepilze-Forum“ auch
bemerkt wurde, weit entfernt. Ich weiß nicht, wie Sie Cantharellus cibarius
agg. auf deutsch
bezeichnen.
Gibt es irgendeinen Grund Pfifferling, Reherl
oder Eierschwamm vorzuziehen? Was das konkrete Beispiel
Täubling angeht, ist mir im übrigen
überhaupt nicht klar, wie Sie darauf kommen, daß die
als Täuberl
bezeichneten Pilze mit „Tauben“ zu verwechseln
wären. Ich bin zwar alles andere als ein Kenner der
südostdeutschen Dialekte, mir scheint aber doch deutlich zu
sein, daß „Täuberl“
nichts anderes als eine, im Bayerischen übliche Diminuitivform ist,
die von „Täublingen“ und nicht von
„Tauben“ ausgeht. Die entsprechende Form
müßte dort wohl eher „Tauberl“
heißen. All das ist aber ohnehin irrelevant, da wir uns, wenn
wir über Pilze sprechen, immer einer Fach- oder Sondersprache
bedienen und von daher solche Verwechselungen, wie Sie von Ihnen
beschrieben werden, sehr konstruiert wirken. In noch
höherem Maße gilt all das für den
Maronenröhrling. Warum heißt Xerocomus badius
wohl so? Man wird wohl annehmen dürfen, daß hiermit
auf die Farbe der Kastaniensamen angespielt wird. Sollte also gar
„Maronenröhrling“ eine
verstümmelnde Verkürzung aus
„maronenfarbiger Röhrling“ o.ä. sein? Als ich die
Passagen zur Marone las, glaubte ich zwischenzeitlich wirklich, sie
wollten sich einen Spaß erlauben. Der folgende Satz
über die
„Begriffs-Verstümmelungen“, die
„Tatsachen faktisch auf den Kopf“ stellen, macht
eine solche Deutung aber unmöglich. Um
meine inhaltliche Kritik noch einmal zusammenzufassen: Ich halte Ihre
Anprangerung eines gewissen, von Ihnen als internetspezifisch
dargestellten Sprachgebrauchs zur Bezeichnung von Pilzgruppen und
Pilzarten für überzogen und vor dem Hintergrund des
historischen Charakters von Sprache auch für unsachlich, was
nicht zuletzt durch die unkluge Auswahl Ihrer Beispiele
gestützt wird. All das
wäre nicht weiter der Rede wert, da Sie sich damit lediglich
– ich schrieb es bereits – in eine lange Reihe von
Sprachkritikern einreihen und es mit Sicherheit anspruchsvollere,
kenntnisreichere und kritikwürdigere Beiträge zu
Problemen unserer Gegenwartssprache gibt. Vor allem in Anbetracht der
tatsächlichen Probleme, vor die die deutsche
Sprachgemeinschaft mit Rechtschreibreform und Gegenreform gestellt ist,
scheint Ihr Beitrag nicht weiter bemerkenswert. Es ist vielmehr die Art
und Weise, in der Sie Ihre Kritik vortragen, die die Gemüter
erhitzt hat. Jemand, der vorgibt, sich des „Kulturgutes Nr.
1, der Sprache nämlich“ in angemessener Weise
bedienen zu können, der muß darauf gefaßt
sein, gerade seiner Sprache wegen selbst kritisiert zu werden. Wenn man
dann liest, mit welcher Munition Sie gegen „manchen
Poster“ schreiben, wird einem schon etwas mulmig. Ich kann
sehr wohl nachvollziehen, daß sich einige der angesprochenen
Internetschreiber persönlich angegriffen fühlen, wenn
sie von Ihnen zu Leuten gemacht werden, die aus dem Internet einen
Müllhaufen machen, ihre Leser in die Irre führen
wollen, Tatsachen auf den Kopf stellen. Diese Schreiber seien nicht in
der Lage, „sich bei der Verbreitung ihrer Erkenntnisse eines
sachlich fundierten und begrifflich festgelegten Wortschatzes zu
bedienen“. Ihre „Postings“
seien „Unsinn“, eine „Plage“.
Ich brauche Sie nicht daran zu erinnern, daß Sie damit nicht
nur „Pilzküken“, sondern auch anerkannte Mykologen, wie etwa Christoph
Hahn, verunglimpfen. Gelegentlich
ist es doch besser, wenn der Schuster bei seinen Leisten bleibt. So
sehr ich Ihre pilzkundlichen
Beiträge schätze, sollten Sie es sich in Zukunft doch
besser überlegen, in welcher Art und Weise Sie
„Glossen“ verfassen, die nur am Rande etwas mit
Pilzen zu tun haben. Seien Sie mir nicht böse, aber jemand,
der sich, wie |