Fliegenpilz Amanita_muscaria

Fliegenpilz Amanita muscaria

Zur Giftigkeit des Fliegenpilzes Amanita muscaria

Eine Fundsache aus der Zeitschrift für Pilzkunde Heft 1 von 1924. Autor ist Dr. med. F. Thellung, Winterthur. 

Angeregt durch eine Einsendung von Erika Spann, die den Fliegenpilz für völlig unschädlich hält, ist im Jahrgang 1923 der Zeitschrift für Pilzkunde die Frage der Genießbarkeit dieses Pilzes wieder einmal aufgerollt worden. Liegen nun wirklich neue Tatsachen vor, die uns erlauben, ihn von der schwarzen Liste der Giftpilze zu streichen? 

Daß einzelne Exemplare des Fliegenschwamms nach Abziehen der Oberhaut ohne Schaden genossen werden können, ist 1ängst bekannt. So berichtet Rothmayr (Die Pilze des Waldes, Aufl. 1909), wie sein Sohn an einer Pilzausstellung einen Fliegenpilz roh verzehrt hat. Michael (Führer Aufl. 1918, Bd. I, Text S. 69) genoß einen gebratenen Pilz, Gramberg (Pilze der Heimat, 3. Aufl., Bd. II, S. 85) deren 2 ohne Schaden usw. Anderseits aber ist bekanntlich die ernstliche, wenn auch selten lebensgefährliche Giftigkeit von Amanita muscaria eine durch Hunderte von eindeutigen Vergiftungsfällen längst erhärtete Tatsache. Daß der schöne Pilz giftig wirkt, sagt schon sein Name; "kann man ihn doch zum Töten von Fliegen benutzen. Noch bezeichnender ist der Name "Narrenschwamm", den er in Deutschland im Mittelalter trug: Er wirkt ja vornehmlich auf das Nervensystem, und man verliert bei der Vergiftung vorübergehend den Verstand! 
Ganz wie bei der Tollkirsche, die aus dem gleichen Grunde ihren Namen erhalten hat. In der Schweiz sehen wir die Italiener gerne Fliegenpilze verspeisen. Dabei werden manchmal größere Mengen ohne üble Folgen ertragen, aber beinahe jedes Jahr kommt es doch zu Vergiftungen, die manchmal ganze Familien betreffen. So sammelte z. B. im Jahre 1921 eine italienische Familie bei Zürich wissentlich Fliegenpilze. Nach Abziehen der Oberhaut wurden sie zubereitet und eine große Schüssel voll von 6 Personen verzehrt. Nach 2 Stunden erkrankten alle 6. Die meisten erbrachen und erholten sich rasch. Ein zehnjähriger Knabe dagegen erbrach nicht, wurde verwirrt und aufgeregt, erkannte niemand mehr, hatte beschleunigten Puls und weite Pupillen. Der gefährliche Zustand wurde durch eine Magenspülung rasch gebessert. Die Untersuchung im Botanischen Garben in Zürich ergab, daß nur Amanita muscaria verzehrt worden war. Die Menge Fliegenpilz, die ein Mensch essen muß, um Vergiftungserscheinungen zu bekommen, ist nach allen Erfahrungen sehr wechselnd, und eine einmalige Feststellung erlaubt keine Verallgemeinerung. Persönliche und Rassenunterschiede in der Giftempfindlichkeit mögen dabei eine Rolle spielen, hauptsächlich jedoch Klima, Standort, Jahreszeit, Witterung usw. 
Auch die chemischen Untersuchungen haben ergeben, daß der Gehalt des Fliegenpilzes an den einzelnen in ihm enthaltenen Giftstoffen (Muscarin, Pilzatropin usw.) ein äußerst wechselnder ist.
Da man nun einem Fliegenpilz niemals ansehen und auch nicht durch einfache Proben feststellen kann, ob und welche Gifte und welche Mengen davon er enthält, so bleibt nichts anderes übrig, als jedes Exemplar als giftverdächtig anzusehen.
Einen Pilz mit solchen Eigenschaften müssen wir praktisch durchaus als Giftpilz bezeichnen, und jedermann vor seinem Genuß ausdrücklich warnen. An diesem Standpunkt müssen wir grundsätzlich festhalten allen Versuchen gegenüber, ihn auf irgend eine Art in die Küche einzuschmuggeln, selbst unter Zuhilfenahme der praktisch noch nicht genügend bewährten Entgiftungsverfahren.
Andernfalls sind wir mit verantwortlich für vorkommende Vergiftungen!
Wer durchaus weitere Versuche anstellen will, mag dies auf eigene Verantwortung tun; früher oder später kann er es durch bittere Erfahrungen am eigenen Leibe bereuen müssen.
Im Puk, Jahrg. IV, S. 5, hat Ferdinand Mühlreiter den Fliegenpilz einer äußerst gründlichen Besprechung unterzogen und kommt zum Schluß, daß er als Speisepilz durchaus zu verwerfen ist.
Ich bitte jeden, der sich für die praktisch wichtige Frage interessiert, seine ausgezeichneten Ausführungen nachzulesen.

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