Aus dem Tagebuch eines
Pilzberaters
von Hanno Langmuth.
Endlich Feierabend. 8 - 9 Stunden täglich als Bauschreiner zu
malochen ist ganz schön happig in meinem Alter.
Und dann die
Heimfahrt - Stau, Ampeln, Benzingestank, Unbill....
Irgendwie schafft man es immer wieder auf das eigene Karree zu kommen.
Der Anrufbeantworter blinkt.... Es sind heute 5 Anrufe, geht ja
noch.... Diese Pilzsaison hat es wirklich in sich.
Man kommt ja selbst
am Feierabend nicht mal zum Durchatmen.
1. Anruf: „Hier ist Gottfried Schupp. Ich habe Pilze
gefunden, die haben so einen braunen Hut und weiße Stiele.
Könnten sie mich bitte zurückrufen, um mir zu sagen,
ob die essbar sind.“
2. Anruf: „Jetzt rufe ich schon zum dritten Mal heute an und
nie ist jemand da.
Wenn Pilzberater
nicht erreichbar sind, sollten sie
sich nicht als solche ausgeben.“
Ist wütend, man
kann hören, wie der Hörer aufgeknallt wird.
Während ich noch die restlichen Anrufe zur Kenntnis nehme,
klingelt das Telefon.
„Hallo, hier ist Lehmann. Ich habe heute 20 kg Steinpilze
und 10 kg Königsröhrlinge gefunden.“
Aus
seiner Stimme klingt eindeutig Sensationsgeilheit.
„Aha. Und jetzt brauchen Sie einen Anwalt, oder?“
„Wie, Anwalt?“
„Na ja, ich nehme an, dass man Sie dabei erwischt hat,
wie
sie die Massen geschützer Pilze aus dem Wald geschleift
haben...“
„Geschützte Pilze.... Ich verstehe nur
Bahnhof.“
„Der Königsröhrling - Boletus regius
- ist eine seltene, vom
Aussterben bedrohte
Art und auch den Steinpilz Boletus edulis
darf man nur in
haushaltsüblichen Mengen
von bis zu 2 kg pro Person entnehmen.
Was
macht ein Mensch eigentlich mit insgesamt 30 kg Pilzen?“
„Einfrieren, trocknen, verschenken.... Was man mit Pilzen
eben macht....“ Herr Lehmann ist sichtlich verdattert.
Das
Gespräch läuft offensichtlich nicht ganz so, wie er
es sich vorgestellt hat. Vermutlich hätte ich die Frankfurter
Allgemeine oder den Spiegel von seiner gigantischen Beute
informieren sollen.
„... Bedaure, Herr Lehmann, ich kenne leider keinen Anwalt,
der sich auf die Verteidigung von Pilzraffern spezialisiert hat. Viel
Glück bei der Suche....“
Kaum 20 Minuten später ruft der nächste Ratsuchende
an.
Noch immer hatte ich keine Zeit die wichtigsten Verrichtungen nach
einem erschöpfend langen Arbeitstag zu machen.
Und dabei
wollte ich eigentlich selbst noch vor Einbruch der Dunkelheit ein
bisschen in den Wald gehen.
Die Pilzvorkommen sind heuer wirklich
erfreulich ....
Es soll wohl wieder nicht sein...
„Hier ist Schulze. Können Sie mir sagen, ob man
Pilze einfrieren kann?“
Mir platzt der Kragen. Was gibt anderen eigentlich das Recht
mir meine Zeit zu stehlen mit Fragen,
deren Beantwortung er in jedem
Zehn-Mark-Pilzbuch nachlesen kann?
Ich habe die zündende Idee:
„Sekündchen, Herr Schulze...“
Ich
drücke für einen Moment die Stummtaste des
Telefons und als ich wieder dran bin, sage ich:
„Ich habe Sie
mal eben auf eine andere Leitung gelegt. Sie haben ja sicher
nichts dagegen, dass meine Zeit nicht kostenlos zur Verfügung
steht und daher sind Sie im Moment mit einer 190er Nummer
verbunden.“
Herr Schulze sagt noch ein einziges, nicht
verständliches Wort und hat im gleichen Bruchteil dieser
einen Sekunde aufgelegt.
Mir kommt der vergangene Abend in den Sinn. Als die ganze
fünfköpfige Familie mit ihren lehmbehafteten
Gummistiefeln in meinem Esszimmer stand und die wahllos
zusammengeklaubte Ausbeute des Tages auf den sauberen Tisch
schüttete, bevor ich auch nur eine Lage
Zeitungspapier unterlegen konnte.
Einige der
Fruchtkörper kullerten unter die Eckbank.
Sortieren bitte, ein klarer Auftrag ohne Worte.
Die guten ins Körbchen und die anderen darf ich behalten.
„Sie haben ja sicher einen
Komposthaufen...“
Die Leute erzählten mir
noch dies und jenes und nach einer guten Stunde bin ich wieder allein
mit meinem Besen, nachdem ich die Hinterlassenschaften der Familie
weggekehrt hatte. Ich wollte eigentlich Colombo gucken...
In der Küche liegen noch ungefähr 20
Schirmpilz-Stiele. Sie sind ein Überbleibsel einer
„Beratung“ von vorgestern:
Ein etwa
12jähriger Junge kam und wollte wissen, ob die Parasole essbar
seien. Über 20 herrliche Exemplare. Macrolepiota procera.
Ich kam ins
Schwärmen, während mir der Geifer von den Lefzen
tropfte und ich merkte, dass ich seit Mittag nichts gegessen hatte. Ich
verriet dem Jungen, dass man selbst die zähen und daher im
Urzustand eigentlich ungenießbaen StieIe trocknen und zu
Pilzpulver
mahlen kann.
Zwei Stunden später (also um zehn Uhr abends) war der Junge
wieder da, drückte mir die StieIe in die Hand und sagte:
„Da haben Sie die, die Mama hat gesagt, die StieIe wollen wir
nicht.“
Mir kommt in Gegenwart der Schirmpilzstiele und des Besens in den Sinn,
was ich in den vielen Jahren als Pilzberater geleistet hatte, was ich
dafür bekommen habe, was ich bezahlt habe...
Die Bilanz spricht für sich:
Bekommen habe ich nichts. Keinen Pfennig und nur selten ein Danke.
Einmal habe ich etwas vernommen, das so ähnlich klang
wie „was bin ich ihnen schuldig“,
aber es
war wohl nur eine rhetorische Frage, denn bevor ich antworten konnte,
war der Fragesteller,
ein Zeitdieb der ersten Kategorie,
längst beim nächsten Thema angelangt.
Es ist
unüblich, ja geradezu verpönt, Pilzberater
für ihre Dienste zu bezahlen.
Von mindestens einer Beratungsstelle für
Vergiftungserscheinungen weiß ich, dass
die Liste der ihnen
„zur Verfügung stehenden Berater“
kommentiert wird, z.B. mit „schickt Rechnungen an die
Betroffenen“.
Und von einem befreundeten Pilzberater habe ich
erfahren, dass keiner mehr kommt,
seit er eine Gebühr von DM
5.- für die Kontrolle eines Korbes angekündigt hat...
Geleistet habe ich offensichtlich auch nichts,
denn bisher habe ich von
keinem Krankenhaus auch nur eine einzige Rückmeldung in all
den Jahren erhalten.
Keine, nicht mal bei den Konsultationen, die
vorzugsweise in der Zeit notwendig waren,
die auch mir am kostbarsten
ist. (z.B. am Abend, während eines der besagten,
heißgeliebten Colombo-Fälle.)
Überhaupt scheinen die Pilzsucher und die real oder
vermeintlich Pilzgeschädigten der Ansicht zu sein,
dass man
jetzt sofort und endlos Zeit für sie zu haben hat.
Sie haben
überdies Anlass zu der Vermutung, dass man es als Pilzberater
ganz normal findet, ja sogar begeistert ist,
wenn sich der Ratsuchende
über seine kürzlichen pilzbedingten Durch- und
Trauerfälle eingehend auslässt.
Sie unterstellen
darüber hinaus Verständnis und ein offenes Ohr
für die Seitensprünge eines entfernten Verwandten,
die Prostata seines Nachbarn und alles andere Private,
das der
Pilzsachverständige mutmaßlich schon immer mal
genauer wissen
wollte.
Wenn ich hingegen
etwas zu sagen habe, zum Beispiel über die
Aufgabe der Pilze in ihren Lebensräumen,
zeichnet sich sofort
grenzenloses Gelangweiltsein in den Gesichtern meiner
Gesprächsgegner ab.
Gerade so, als würde beim
Stichwort Ökologie durch einen unsichtbaren Sensor ein
Schalter umgelegt,
stellen die Leute ihre Ohren auf Durchzug.
Knips.
Die meisten Ratsuchenden interessiert nur eines: Essbar oder nicht.
Fertig. Wie im Krieg.
Ich denke auch an all die Kofferräume voller angeschimmelter
Rotfußröhrlinge, Riesenporlinge und Erdschieber.
Und so
weiter.
Aber ich schweife ab. Sorry. Es fehlt doch noch ein Posten in
meiner „Bilanz“:
Bezahlt habe ich - im Gegensatz zu meinen „Kunden“
- einiges:
Kosten für die Ausbildung zum
Pilzsachverständigen (allein eine Woche bei Walter Pätzold
kostet ...
+ Hotel + Spesen + Prüfung), Fahrgeld,
Bücher, Mikroskop und (Urlaubs-) Zeit.
Es muss
eine Entscheidung getroffen werden:
Noch einmal, ein
allerletztes Mal, nehme ich mir Zeit für die
Pilzberatertätigkeit.
Ich schreibe je einen Brief an das
Gesundheitsamt, die Verbraucherzentrale,
die nächste
Vergiftungsberatungsstelle und an die Uni-Klinik:
Sehr geehrte Damen und Herren,
bitte streichen Sie
mich von der Liste der Pilzberater
oder bieten Sie
mir alternativ dazu einen Beratervertrag mit angemessener Entlohnung
für meine Dienste an.
Mit freundlichem
Gruß
Hanno Langmuth
Ich ahne schon, dass ich keine brauchbare Antwort bekommen werde
und
die Zeitspanne (bisher über 2 Monate) scheint dies
zu bestätigen.
Daher: Gleich morgen werde ich mir eine Telefon-Geheimnummer besorgen
und das bisherige Telefon abklemmen.
Die Kosten dafür werde
ich, als letzten Akt in diesem Trauerspiel, auch noch aufbringen.
Der
Preis, dass ich für einen evtl. lieben Anrufer nicht mehr zu
erreichen bin,
ist - gemessen am vollständigen Freizeitklau in
der Pilzsaison - als human zu bezeichnen.
An meiner Haustür wird ab sofort stehen:
Das Pilzberatungssystem in Deutschland hat gewisse Lücken.
Hier ist
keine Pilzberatungsstelle mehr.
Sobald Sie dennoch die Klingel betätigen,
lösen Sie
damit das Ausleeren eines Nachttopfes über Ihrem Haupt aus.
Ich bitte um Verständnis.
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