Eichenwirrling Daedalea_quercina

Eichenwirrling Daedalea quercina
Was macht das Käferchen in meinen Pilzen?

Eine Betrachtung zum Thema „Pilzkäfer“ von Joachim Rusch, Altdöbern

Wir Pilzsucher sind nicht allein mit unserer Jagd auf die Schätze in Wald und Flur. Schon das knisternde Unterholz im Jagen nebenan treibt den Adrenalinspiegel des Mykophilen in die Höhe: „Oh je, dort sucht auch noch einer; gäbs Gott, er war noch nicht hier!“  Ganz zu schweigen von Sau, Has´, Reh und Hirsch, die den erhofften Segen vielleicht schon ausgewühlt oder im Morgengrauen schlicht abgeweidet haben.
Und dann erst die Kleinen! Der Drahtwurm im Pfifferlingsstiel, die Schnecke am Röhrenfutter, die Pilzmückenlarve in Stiel und Hut, zumeist berechtigterweise als Made zum Ekeltier herabqualifiziert. Sie alle schmälern unsere Beute.

Doch es kommt noch schlimmer! Von den rund 8000 in Mitteleuropa in zur Zeit 125 Käferfamilien (kann sich schnell ändern, der Ehrgeiz der Wissenschaft ist groß!)  vorkommenden Käferarten sind aktenkundig 738, knapp zehn Prozent, in irdendeiner Weise nahrungsmäßig auf Pilze spezialisiert. Dazu kommen weitere mindestens 500, die regelmäßig oder gelegentlich in Pilzen anzutreffen sind.

Im folgenden will ich versuchen, ein wenig Klarheit in diese Partnerschaften zu bringen.
Den engsten Bezug zu Pilzen im weitsten Sinne haben zweifellos jene Käfer, die als Larve oder Vollinsekt oder in beiden Stadien unmittelbar an Pilze als Nahrung gebunden sind. Das sind die oben schon zitierten 738 Arten. Sie fressen jedoch weniger das Pilzfleisch als vielmehr die wohl nahrhafteren Sporen bzw. die sporenbildenden Schichten. Diese Käfer finden sich sowohl an Schimmelpilzen als auch an den uns mehr interessierenden „höheren Pilzen“.
Viele von ihnen sind klitzeklein, die Zwerge messen stolze 0,8 mm Gesamtkörperlänge. Um Sporen zwischen die Kiefer und ins Mäulchen zu bekommen, muß man eben kein Riese sein. In dieser Gruppe tummeln sich unter anderen Vertreter der CISIDAE, der MYCETOPHAGIDAE, der LATRIIDAE, der CRYPTOPHAGIDAE, der PTILIIDAE, der LEIODIDAE sowie der Gattung Gyrophaena aus der Familie der STAPHYLINIDAE. Manche davon sind qualifizierte Spezialisten. So findet sich Gyrophaena strictula fast nur am Eichenwirrling Daedalea quercina. Die Gattungen Anisotoma und Sphindus leben vorwiegend in fruktifizierenden Schleimpilzen, die etwas größere Diaperis boleti fast nur in Birkenporlingen Piptoporus betulinus. Sie verrät sich übrigens sofort durch einen durchdringenden Geruch, der stark an Desinfektionsmittel in Krankenhäusern erinnert. Besonders von den kleineren Arten kann man mitunter Hunderte von Exemplaren aus einem einzigen größeren Porling, einem Büschel Stockschwämmchen oder einer Hallimaschgruppe klopfen (zur Freude dessen, der sie dann als Spezialist  zu bearbeiten bekommt!). Auch der schon erwähnte „Drahtwurm“ im kotgefüllten Pilzstiel muß in die Pilzfresser eingereiht werden. Er ist kein Wurm, sondern die drahtartig gestreckte und recht harte Larve verschiedener ELATERIDAE (Schnellkäfer), die sich sonst gern im Baummulm aufhalten und in faulendem Holz, wenn sie, wie einige ihrer Familienmitglieder, nicht lieber die zarten Salatwurzeln auf unserem Gartenbeet benagen. Der fertige Käfer frißt lieber Pollen aus frischer Blütenschüssel.

Fast ebenso eng wie die eben beschriebenen Bindungen sind die Beziehungen solcher Käfer zu Pilzen,
die sie zwar nicht als Nahrung, aber als Nahrungsquelle nutzen. Das sind in der Regel karnivore (fleischfressende) Spezies, die von meist weichhäutigen Insektenlarven, Milben oder auch Springschwänzen leben, die sich primär den Pilz zunutze machen. Es scheint dem Betrachter nur, als hätten sie vom Pilz gefressen, zumal einige von ihnen, so unsere beiden Oxyporus-Arten rufus und maxillosus, den Pilz mit gewaltigen Beißwerkzeugen nach Maden förmlich durchwühlen. Andere schleichen sich durch Blätter und Fraßgänge oder legen sich bescheidener nur auf die Lauer. Hier einzuordnen ist das Heer der Arten aus den STAPHYLINIDAE-Gattungen Lordithon, Atheta, Proteinus und Oxypoda (hier nur einige Arten). Zum Teil findet man sie ausschließlich an Pilzen, wo sie und zum Teil auch ihre Larven ihr mörderisches Dasein fristen. Eigentlich sollten wir sie mögen, denn sie dezimieren unsere Konkurrenz.
Bei einigen ist ungeklärt, ob sie vom Pilz, von seinen Bewohnern oder rationellerweise gleich von beidem naschen. Das sind zum Beispiel Arten der Gattungen Triplax und Dorcatoma, aber auch viele andere, die wir hier nicht nennen müssen.

Die dritte hier zu besprechende Gruppe findet sich nur gelegentlich in Pilzen, ohne das eigentlich zu müssen, weil sie schlicht gesagt das mag, was gehörig zum Himmel stinkt. Sie ahnen schon, wir nähern uns der Stinkmorchel Phallus impudicus und ihren Verwandten.. Hier finden sich, meist eingefressen in die hohlen Stiele, des öfteren Aaskäfer der Arten Necrophorus vespilloides (Totengräber-Art), Thanatophilus sinuatus und Oeceoptoma thoracica, häufig in Gesellschaft des STAPHILINIDAE-Vertreters Philonthus marginatus (der hat noch mehr Marotten: Er kann als einziger seiner Familie das Klauenglied am Ende der Tarsen mittels Gelenk umklappen). Was diese Käfer dort suchen, bleibt vorläufig ihr Geheimnis. Zur Eiablage und Larvenfütterung taugen die vergänglichen Fruchtkörper wohl nicht. Ob sie der kleine Pausensnack so zwischendurch sind, ist noch nicht untersucht. So bleibt vorläufig doch nur der betörende Duft als begreifbare Begründung der perversen Neigung. Ähnliches finden wir auch bei verfaulenden Fruchtkörpern anderer Pilze. Dort wühlen sich bisweilen Käfer der Familie GEOTRUPIDAE durch den ekeligen Brei, als wären es leckere Kothaufen, die man der Nachkommenschaft, man ist schließlich ein reinrassiger Mistkäfer,  als Mitgift bieten könne. Kann man aber nicht, die Substanz ist zu arm, um die Larven zu ernähren.

So machen uns viele Pilzkäfer unsere Pilzernte streitig. Nur eine Ausnahme gibt es unter den landbewohnenden Käfern: die Borkenkäfer und Rüssler aus den Familien RHYNCHITIDAE, ATTELABIDAE, APIONIDAE und  CURCULIONIDAE. Machen sie uns auch sonst das Leben teilweise schwer, weil sie so manches an-, weg- und ausfressen- an Pilzen hat sich noch keiner vergriffen. Und das macht sie doch eigentlich zu guten Freunden.

Viele Fragen zu Pilzen und Käfern bleiben offen.
Eine sei noch gestellt und aus der Praxis heraus beantwortet. Niemand wird glauben, daß die echten oder halbechten Pilzkäfer den Moser, den Michael/Hennig/Kreisel, den Cetto oder andere schlaue Bücher gelesen haben oder gar den „Tintling“ kennen.  Also wissen sie auch nicht, was giftig, ungenießbar oder essbar ist. Müssen sie auch nicht! Was soll ihnen ein leberschädigendes Gift auch anhaben, wo sie gar keine Leber besitzen? Wer soll die Roten Blutkörperchen zerstören, die ihnen sowieso fehlen? Doch, ganz im Ernst: Unsere Giftvorstellung und -erfahrung ist nicht die der Käfer. Selbst der so verbrieft den Fliegentod heraufbeschwörende Fliegenpilz wird von Maden zerfressen, und die fühlen sich wohl. Im Grünen Knollenblätterpilz Amanita phalloides leben vergnüglich die verschiedensten Gyrophaenen, und sie plagt kein Krampf. Im Weißen Firnistrichterling Clitocybe phyllophila, einem echten Killer, feiert die  Käfergemeinde waldweise fröhliche Parties, doch keiner fällt abgemurkst zu Boden. Ich habe übrigens ein Eichhörnchen einen Pantherpilz Amanita pantherina pflücken und ihn dann in der Baumkrone genüßlich verspeisen gesehen, und es hüpft wohl noch heute herum, wenn es denn nicht inzwischen gestorben ist. Aber dann bestimmt nicht an Pilzvergiftung.
So hat eben alles eine Richtigkeit: Für uns als Schranke das Gift und die Roten Listen, für andere nur das Vorhandensein.

Eine kleine Nachbemerkung muss angehängt werden: Sollte Ihnen, lieber Leser, in meiner Plauderei manches „spanisch“ vorgekommen sein - ich kann wirklich nichts dafür, dass die vielen  Pilzkäferchen noch keine deutschen Namen haben. Man kann es versuchen, doch wäre das wohl zum Scheitern verurteilt. Zu unscheinbar sind  viele der Tierchen, und auch in den Ansprüchen oder Partnerschaften mit bestimmten Pilzen gibt es zu viele Gemeinsamkeiten sehr ähnlicher Spezies. Oder gefiele Ihnen etwa so ein Name: Schwarzgelbgefleckter sporenfressender Holzritterlings-Kurzflügelkäfer für  Gyrophaena williamsi? Wobei das außerdem schon wieder eine höchstens Achtelwahrheit wäre, denn das Käferchen lebt auch an zahlreichen anderen holzbewohnenden Blätterpilzen.

Literatur:
KOCH, K. in: KOCH (1989, 1989, 1992): Die Käfer Mitteleuropas.- Krefeld. Ökologie, Bd. 1 - 3
RUSCH, J. (1990): Untersuchungsergebnisse zum Vorkommen mitteleuropäischer Arten der Gattung Gyrophaena MANNH. in verschiedenen Pilzen (Col., Staph., Aleocharinae). - Entomologische Nachrichten und Berichte, Leipzig.
RUSCH, J. (1991/92, 1993, 1994): Bemerkenswerte Staphylinidenfunde aus der Niederlausitz Teil I - III.- Natur und Landschaft in der Niederlausitz, Cottbus.  

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