Besprechung
des Buches "Tödliche Pilze"
Legislative
Marktlücken mit letalen Folgen
Eine Buchbesprechung von Martin
Wagner, 68305 Mannheim
Die Autorin ist eine Powerfrau im positiven Sinne - neben ihrem
anstrengenden
Brotberuf als Marktfrau und der zeitraubenden Dreifachbelastung als
alleinige
Redakteurin, Herausgeberin und Verlegerin des Tintling engagiert sie
sich in
vielfältiger Weise in Sachen Natur, Umwelt und Gesellschaft.
Und nun hat sie
auch noch ihren belletristischen Erstling verlegt, der sich ebenso
kompetent wie
unterhaltsam mit einer brisanten Facette dieses Themenkomplexes
auseinandersetzt.
Karin Montag: Tödliche Pilze, Schmelz, Der Tintling, 1999; 256
S., DM 29.90
Frau Montag deklariert ihr literarisches Debüt schlicht als
"Erzählung",
doch hinter diesem nichtssagenden Gattungsbegriff verbirgt sich eine
furiose
Kriminalgroteske, in der nach vielen überraschenden Wendungen
am Ende zwar
nicht das Recht, wohl aber die Gerechtigkeit auf ganzer Linie
triumphiert.
Das Ausgangsszenario ist gar nicht so abwegig wie es auf den ersten
Blick
scheinen mag. Auf einem ländlichen Wochenmarkt werden junge,
noch geschlossene
Orangefuchsige Rauköpfe als "Baby-Pfifferlinge" verkauft -
mit
fatalen bzw. letalen Folgen, die nicht nur den ahnungslosen Opfern,
sondern auch
dem teilnehmenden Leser buchstäblich an die Nieren gehen: 25
Konsumenten
erkranken an dem wegen seiner langen Latenzzeit besonders
tückischen
Orellanus-Syndrom; letztlich sind zwei Tote, mehrere
Transplantations-Aspiranten
und ein Dutzend dauerhafte Dialyse-Patienten zu beklagen.
Selbstverständlich geben sich Lebensmittelkontrolldienst,
Kripo und Justiz alle
Mühe, die Verantwortlichen für die Tragödie
zur Rechenschaft zu ziehen, aber
am Ende stehen sie mit ziemlich leeren Händen da. Denn Recht
basiert auf
Gesetzen, und wenn die Legislative versagt, sind der Exekutive die
Hände
gebunden - die Täter bleiben nolens volens ungeschoren.
Für eine aufrechte Moralistin ist dieser - die deutsche
Rechtslage exakt
widerspiegelnde - Zustand natürlich unerträglich, und
so muss die Autorin ihre
ganze Fantasie aufbieten, um die trostlose Realität doch noch
mit einer tröstlichen
Fiktion zu überlisten. Sie verfolgt die
Übeltäter mit der Verve einer
altgriechischen Rachegöttin und bringt sie zunächst
peu à peu und im
slapstickartig überhöhten Schlusskapitel schliesslich
in einem grellen
Showdown zur Strecke: High Noon in Schlossbach!
Aus literarischer Sicht lässt sich das Erstlingswerk von Karin
Montag am
ehesten unter dem Rubrum "Fantastischer Realismus" einordnen - die
erste Hälfte des Buches wird vorwiegend von Fakten, die zweite
von Fiktionen
bestimmt. Diese Zweiteilung beeinflusst auch das sprachliche und
stilistische
Niveau: Die gewiss schwierige Umsetzung nüchterner
Sachinformationen in
unterhaltsame Dialoge wirkt gelegentlich noch etwas ungelenk und
hölzern, aber
schon bald legt die Autorin alle Hemmungen ab und lässt ihrem
natürlichen
Sprachwitz freien Lauf.
Ihre ebenso bestechende wie unbestechliche Beobachtungsgabe kommt vor
allem bei
der plastischen, manchmal drastischen Schilderung lebensnaher
Situationen, aber
auch bei der pointierten Charakterisierung bzw. Typisierung der
handelnden
Personen zum Tragen. Hinzu kommt eine unbändige Lust am
Fabulieren, ein feines
Gespür für Situationskomik und ein
ausgeprägtes Faible für
Überraschungselemente.
Diese Ingredienzien verfeinern die ansonsten etwas zähe
Auflösung des Falles
ganz erheblich und machen die Lektüre dieses Krimis
schließlich zu einem
kurzweiligen und spannenden Lesevergnügen.
Der gewählte Ansatz, reale Missstände in eine fiktive
Story einzubinden, erhöht
einerseits den Unterhaltungswert, birgt andererseits aber die Gefahr,
dass das
brisante Grundthema durch vordergründige Effekte
verwässert wird. Dieser
schwierige Balanceakt ist Frau Montag erstaunlich gut gelungen - nicht
zuletzt
deshalb, weil sie die Marktszene incl. der legislativen und
ordnungspolitischen
Marktlücken aus dem Effeff kennt. Ihre exakten Recherchen
belegen
eindrucksvoll, dass Märkte hierzulande mehr oder weniger
rechtsfreie Räume und
die Verbraucher weitgehend Freiwild sind: Lückenlose
Herkunftsnachweise von
Lebensmitteln werden nicht gefordert, Kontrollen auf gesundheitliche
Unbedenklichkeit finden kaum statt, die einschlägigen Gesetze
und Verordnungen
bestehen vorwiegend aus Schlupflöchern, so dass dem Missbrauch
Tür und Tor geöffnet
und im Schadensfall jegliche Haftung ausgeschlossen ist.
Im schonungslosen Aufzeigen dieser erschreckenden Tatsachen liegt der
eigentliche Wert des Romans und vor allem deshalb ist ihm eine weite
Verbreitung
zu wünschen.
Mündige Verbraucher sollten ihn als wichtigen Denkanstoß und
die
verantwortlichen Politiker als deutliche Aufforderung zum Handeln
verstehen -
und zwar bevor das eindringliche Menetekel zur bitteren
Realität wird.
Hier noch eine zweite Rezension,
von Tjakko Stijve .
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