Ein weißer Muscheling von Günter Saar und Karin Montag Blaugrauer Muscheling Hohenbuehelia atrocaerulea. Die auffälligen Metuloide wiesen beim ersten Blick ins Mikroskop auf die Gattung Hohenbuehelia, Muschelinge, hin. Dieser Blick war notwendig, denn am Fundort war der milchige Knilch nicht anzusprechen. Einig waren wir uns nur, dass wir beide diesen rein weißen, exzentrisch gestielten, dachziegelig angewachsenen Holzbewohner noch nie gesehen hatten. Sein Habitus ließ zunächst an einen kleinen Seitling (Pleurotus) denken oder durch sein Stummelbein an einen groß geratenen Zwergseitling (Panellus). Nun ja, Hohenbuehelia, also doch eine leichte Übung, so schien es zunächst: Die Gattung ist relativ klein, weltweit sind nur etwa 30 Arten beschrieben, die allesamt nicht häufig sind. Im Atlas der Pilze Deutschlands sind 14 Arten aufgeführt, nur drei davon sind nicht selten: der trichterförmige Muscheling, H. geogenia und sein Bruder, H. petaloides, zwei Arten, die von vielen Autoren nur als Formen oder Varietäten betrachtet werden. Außerdem ist der Blaugraue Muscheling, H. atrocaerulea recht gut verbreitet, wenn auch keinesfalls häufig. Möglicherweise ist auch der Gelbblättrige M. (H. grisea) häufiger, als die wenigen Punkte bei Kriegelsteiner vermuten lassen, denn nach Singer wird er vermutlich häufig mit dem Blaugrauen Muscheling verwechselt. Unser Pilz ist jedenfalls rein weiß und nur im Alter etwas verwaschen-graulich mit cremefarbenen, nicht deutlich gilbenden Lamellen und er widersetzte sich zu unserer Überraschung allen wohlgemeinten Bestimmungsversuchen. Funddaten des nachstehend beschriebenen Fundes: MTB 6707-2, 2.8.96 und 24.8.96, Von-der-Heydt, auf stark vermorschtem, schon bröselig zerfallendem, intensiv weißfaulem Laubholz, vermutlich Eiche, Hainbuche oder Erle, auf PH-neutralem Karbonlehm in der Hartholzaue. Der 12 cm dicke, liegende Stamm war außerdem mit dem Löwengelben Dachpilz (Pluteus leoninus) und dem Blut-Helmling (Mycena haematopus) besiedelt. Kurzbeschreibung: Reinweißer, nicht auffallend gelatinöser, firnisartig feinstbefilzter Muscheling mit kurzem, pfropfenartigem, exzentrischem Stiel. Beschreibung: Hut bis 5 (7) cm ø, exzentrisch trichterig, zungen- muschel- oder spatelförmig, mit lange eingerolltem Hutrand. Hutdeckschicht mit feinstfilzigen (L!), wirren, z.T. aufgerichteten Fasern bedeckt, die den Hut auffallend firnisartig bereift erscheinen lassen. Später partiell verkahlend, besonders im Bereich des Hutrandes, aber auch in der trichterigen Vertiefung. Niemals deutlich haarig. Hutfarbe rein weiß, nur im Alter mit zarten Creme- oder lichtesten Grautönen schwach und andeutungsweise gefleckt, in einem Fall verwaschen lichtgrau. Keiner der Fruchtkörper war auffallend gelaninös. (Ob das mit der andauernden Trockenheit zusammenhängt, kann hier nicht beurteilt werden, denn die anderen Pilzfunde vom gleichen Standort machten nicht den Eindruck, als würden sie an fehlender Feuchtigkeit leiden. Allerdings gibt es für alle Muschelinge höchst unterschiedliche Angaben über die Mächtigkeit der gelatinisierten Schichten, die innerhalb einer Art zwischen 250 und 1300 µm schwanken kann). Lamellen schmal, gedrängt, selten gegabelt, weit herablaufend, jung weiß, alt deutlich cremefarben und dunkler als der Hut. Schneiden ganzrandig. Die ganze Lamellenschicht ist leicht vom Hutfleisch ablösbar. Stiel kurz, stummelig-pfropfenartig, nicht scharf von den Lamellen getrennt, 3 - 12 mm lang und bis zu 5 mm dick, weiß, deutlich feinstfilzig bereift, stets exzentrisch und mit dem Substrat innig und praktisch unlösbar verbunden. Fleisch dünn, weiß, zäh. Geruch und Geschmack schwach rettichartig bis krautartig. Sporenpulver rein weiß. Mikromerkmale: Sporen am Abwurfpräparat eines ganz frischen Fruchtkörpers breitellipsoid, Q<1,5, farblos, mit leicht marmorierter Oberfläche, Jod-, mit gedrungenem Apikulus, 5,2 - 6,3 x 3,7 - 4,2 µm. Eine zweite Untersuchung der Sporen von Fruchtkörpern, die am 24.8.96 am gleichen Standort wieder gefunden wurden, zeigte gleiche Ergebnisse. Basidien durchweg viersporig, schlank keulig, 19 - 22 x 5,5 - 6,0 µm. Sterigmen relativ lang und schmal. Lamellenschneide mit zwei Typen von Cheilozystiden: reichlich kleine, unauffällige, zylindrische, verbogene oder schmal sackförmige, farblose Zellen mit amorphem, in Baumwollblau selektiv anfärbbarem Inhalt, 24 - 35 x 3,0 - 6,0 µm. Darüber hinaus sind am Scheitel dieser Zystiden köpfchenförmige, wasserunlösliche hellbräunliche Ausscheidungen, die bis zu 8 µm dick sein können. Trotz ihrer Häufigkeit sind diese Cheilozystiden unauffällig, weil sie von den zahlreichen, großen Metuloiden überragt werden, die an den Lamellenschneiden ebenso häufig sind, wie auf den Lamellenflächen. Die Schneiden sind steril. Pleurozystiden bauchig oder spindelig, sehr auffällig, dickwandig, mit bis zu 3 µm dicken, gelblichen Wänden (Metuloide), 46 - 75 x 10 - 12 µm. An der Spitze dieser Metuloide mehr oder minder starke harzartige Inkrustationen, die weder wasserlöslich sind, noch kristallinen Charakter haben. Hutdeckschicht aus 3 - 6 µm dicken, stark gelatinisierten einfachen Hyphen. Diese Schicht ist 200 - 250 µm dick und wird überlagert von einer dünneren Schicht aus nicht gelatinisierten, manchmal gabelig verzweigten oder leicht knorrigen, filzig-verflochtenen, 2 - 6 µm dicken, farblosen bis lichtest gelblichen Hyphen, die teilweise büschelig-sparrig aufgerichtet sind. Schnallen überall vorhanden, groß und deutlich. Der Literatur zufolge gibt es in Europa lediglich fünf Arten Muschelinge, die ± weiße Fruchtkörper bilden oder bilden können: der Engblättrige M. (H. angustata), der gelbblättrige M. (H. grisea), der Pelz-M. , bzw. {nach Derbsch und Schmitt } Gelatinöse M. (H. mastrucata), der Blaugraue Muscheling, bzw. {nach Breitenbach und Kränzlin} Gelatinöse M. (H. atrocoerulea) und der Behaarte M. (H. myxotricha). Wobei auch hier die einzelnen Autoren die verschiedenen Arten unterschiedlich interpretieren. Da der Fund mit keinem der vorhandenen Schlüssel zunächst zu bestimmen war und zudem die mikroskopische Abgrenzung der weißen Muschelinge problematisch, wenn nicht gar unmöglich ist, sollen hier anhand der vorstehenden Tabelle die trennenden Merkmale dieser fünf Arten anhand von Literaturangaben dargestellt werden. Die gelatinöse Schicht in der HDS scheint bei mehreren Arten unterschiedlich mächtig zu sein. So wurde sie von Krisai-Greilhuber für H. angustata mit 500 µm angegeben, was „wesentlich dicker“ wäre als bei den nord-amerikanischen Sippen. Für H. grisea gibt Singer 330 - 700 µm an. Die beiden anderen Arten sind u.U. so gelatinös, „daß sie der Klinge beim Schneiden ausweichen“ (Derbsch & Schmitt). Ein weiteres Kriterium sind die Sporengrößen: Während H. angustata und H. atrocaerulea kleine Sporen aufweisen, haben die anderen Arten wesentlich größere Sporen, die im Volumen etwa doppelt so groß sind. Allerdings ist das Merkmal subglobose/breitellipsoidische Sporen wie bei unserem Fund in der Literatur überhaupt nicht zu finden! Auf Grund der aufgeführten Merkmale kommen eigentlich nur H. angustata, H. grisea und H. atrocaerulea in Frage. Wir haben unseren Fund mit einigem Vorbehalt zunächst H. atrocaerulaea fa. alba genannt, obwohl auch etliche Kriterien genausogut, einige sogar besser auf H. angustata, H. mastrucata oder H. grisea passen würden. Insbesondere gibt Frau Prof. Krisai-Greilhuber für H. angustata gelb-bis roststichige Lamellen an, was aber in der zugehörigen Abbildung leider nicht zu erkennen ist. Ein entscheidender Hinweis fand sich bei Kreisel (1987): Er berichtet von einer im Flachland verbreiteten, wenn auch in der Literatur fast fehlenden, weißen Form des Blaugrauen Muschelings (H. atrocoerulea), die bevorzugt in feuchteren Laub- und Bruchwälden fruktifiziert. Hieran, so Kreisel, muß vorerst auch H. grisea angeschlossen werden. Allerdings unterscheidet sich die Typusart des Blaugrauen Muschelings von unserem Fund nicht nur durch die Farbe, sondern auch durch einige andere Merkmale wie zum Beispiel Wuchsweise, Sporenform und Cheilozystiden. Nach unserer Kenntnis hat bisher niemand untersucht, ob Kristallschöpfe, die nach unserer Beobachtung vergänglich sind, überhaupt als ein gutes Merkmal gewertet werden dürfen. Dennoch wird gerade dieses Merkmal in der Literatur zur Trennung der Arten herangezogen. Der langen Rede kurzer Sinn: Wir sehen uns nicht in der Lage, den vorliegenden Fund sicher einer Art zuzuordnen, nennen ihn aber vorläufig - Prof. Hanns Kreisel folgend - H. atrocaerulea fo. alba. Um aber gleich noch einen Beitrag zur Muschelings-Verwirrung zu leisten, sei hier über folgenden Fund berichtet: Funddaten: 1.9.96, MTB 6507-3, Lebach Tanneck, auf mäßig verrottetem, intensiv weißfaulem Eichenholz, zusammen mit der Schmetterlingstramete (Trametes versicolor) und striegeligen Schichtpilz (Stereum hirsutum). Kurzbeschreibung: Stark gelatinöser, stielloser, grauer, striegelhaariger, gilbender Muscheling. Beschreibung: Hut bis 3 cm breit, muschelförmig, Oberfläche mausgrau, zum Rand hin heller bis fast weißlich, stark gelatinös, besonders zur Anwachsstelle hin weißlich filzig-zottig behaart. Ohne Stiel seitlich am Substrat angewachsen, manche Fruchtkörper mit dem Scheitel angewachsen, an der Unterseite des Holzes auch fast resupinat und nur eine schmale Hutkante zeigend. Lamellen weißlich, schmal, dünn, kaum bauchig, zerbrechlich-mürbe und nicht gelatinös, fast gedrängt, stark untermischt, nicht gegabelt. Huthaut und Lamellen im Alter deutlich gilbend. Sporenpulver weiß. Mikromerkmale: Sporen zylindrisch bis leicht bohnenförmig-allantoid, J-, 5,8 - 8,2 x 3,8 - 4,3 µm. Das entspricht einem durchschnittlichen Volumen von 60,04 µm3 und einem L/B-Quotienten von 1,72. Basidien viersporig, schlank keulig, mit langen Sterigmen, 23 - 28 x 5,0 - 6,5 µm. Cheilozystiden klein, unauffällig, flaschenförmig, mit schmal ausgezogenem, kleinkopfigem Fortsatz und spärlichen Harzausscheidungen an der Spitze, 20 - 26 x 4,5 - 6,0 µm, Durchmesser des Halsteiles 2 - 3 µm. Schneide fertil. Metuliode mit 3 µm dicken Wänden und großem Schopf, der sich in L4T nach 3 Std. nahezu völlig auflöst. 57 - 92 x 10 - 13 µm. HDS mit reichlich aufgerichteten, verklebten Hyphenbüscheln (Haare), die einer wirr verflochtenen, 300 - 400 µm dicken Epidermis entspringen. Darunter eine über 1200 µm mächtige gelatinisierte Schicht aus glatten, zylindrischen, 4 -5 µm breiten Hyphen mit großen Schnallen.Dieser Fund entspricht wohl am ehesten der H. mastrucata, vor allem dann, wenn man die Sporenform als wichtigstes arttypisches Merkmal wertet. In keiner der uns vorliegenden Literaturstellen fanden wir die eigentümlichen Cheilostiden wieder und auch das Sporenvolumen müßte laut Literatur etwas größer sein als bei unserem Fund. Desgleichen waren die Lamelllen unseres Fundes nicht gelatinös, sondern zerbrechlich-zart. Als weitere Art soll hier der Rauchgraue Muscheling (Hohenbuehelia fluxilis) ohne nähere Ausführungen abgebildet werden, lediglich mit der Anmerkung, daß die Sporenmaße von 8,0 - 11,2 x 4,8 - 5,2 wesentlich von den Angaben in der Literatur abweichen. Die Beschreibung, Ökologie und weitere Daten folgen in einer späteren Ausgabe, zusammen mit weiteren Erkenntnissen über die in dieser Arbeit behandelten Arten. Der Grund, gerade diese Art abzubilden, ist folgender: Der Rauchgraue Muscheling wurde früher unter dem Namen H. reniformis geführt, dann aber synonymisiert und mit dem älteren Namen H.fluxilis belegt. Hansen & Knudsen jedoch erkennen diese Namensgebung nicht an und trennen die beiden Arten, wobei sie H. myxotricha, eine weiße Art, synonymisieren! Sie folgen damit Thorn und Barron (1986). Möglicherweise handelt es auch hier um eine einzige Art, die sowohl pigmentierte wie weiße Fruchtkörper ausbilden kann. Außerdem gibt es auch hier einige Merkmale, die sich mit denen von H. atrocoerulea überschneiden. Dieses soll nur als ein Gedankenanstoß, bzw. eine Meinungsäußerung angesehen werden. Die Gattung Hohenbuehelia ist so wenig erforscht, daß auf Grund der nur spärlichen Funde bislang keine verbindliche Aussage der Variationsbreite der einzelnen Arten gemacht werden kann. Wir sind sicher, daß etliche unserer Leser über Erfarungen mit den Muschelingen berichten möchten und weitere wertvolle Hinweise zur Kenntnis dieser völlig unzureichend bekannten Gattung beitragen können. Dieses betrifft auch die Standortansprüche der einzelnen Arten. Sie sind allesamt Holzbewohner, die das Holz erst in der Finalphase der Zersetzung besiedeln. Zu diesem Zeitpunkt ist die Holzart aber nur schwer zu erkennen. Es wäre schön, wenn Sie sich beteiligen wollten. Es genügen bereits Stichworte und evtl Belegfotos; es ist keinesfalls erforderlich einen kompletten Aufsatz zu schreiben. Allerdings sollten die Mikromerkmale sorgfältig erfaßt werden; als besonders wichtig erscheinen uns die kleinen, unauffälligen Cheilozystiden und die Sporenform. Die geplante Arbeit könnte ein wunderbarer Gemeinschaftsbeitrag auch von solchen Pilzfreunden werden, die sonst nur selten oder nie publizieren. Sie würden mit Ihren Kenntnissen und Ihren Beobachtungen helfen, die morphologischen Merkmale der Muschelinge und ihre ökologischen Ansprüche aufzuklären. Weiterführende Literatur: Breitenbach & Kränzlin (1991): Pilze der Schweiz Bd 3 Elborne, Steen A. in Flora agaricina Neerlandica Vol 3. (1995). Rotterdam Derbsch, H. und Schmitt, J.A. (1987): Atlas der Pilze des Saarlandes. Hansen & Knudsen (1992): Nordic Macromycetes Kreisel, H. (1987); Die Pilzflora der DDR. Krieglsteiner, G.J.: Verbreitungsatlas der Großpilze Deutschlands Krisai-Greilhuber, I (1992): Die Makromyceten im Raum von Wien Michaelis, H. 1994): Hohenbuehelia grisea (Peck) Singer. Südwestdeutsche Pilzrundschau 30(1):17 Moser-Jülich: Farbatlas der Besidiomyceten (H. mastrucata) Ryman & Holmäsen (1992 ) Svampe Singer, R. (1977): Amerikanische und asiatische Agaricales, die in Europe u. Nordafrika vorommen. Zeitschrift f.Pilzkunde 43:124 Thorn & Barron (1986); Nematoctonus and the tribe Resupinatae in Ontario, Canada. - Mycotaxon 25: 321 - 453 Watling, R. und Gregory, N.M. (1989): British Fungus Flora 6. . zurück zur Jahrgangsübersicht . zurück zum Inhalt des Tintling . nach Pilzhausen . |