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Pilzfloren Paul Kellers "Pilze" - Von Franz Kallenbach, Darmstadt. Es ist eine Seltenheit, daß sich unsere Dichter und Schriftsteller in ihren Werken mit den Pilzen befassen. Um so anerkennenswerter ist es, wenn man in Paul Kellers Dorfgeschichte (Bergstadt, Juli 1929) eine großenteils gute Aufklärung über volkstümliche Pilzkunde vorfindet. Es seien z. B. folgende Stellen wörtlich angeführt: "Jeder hatte einen Tragekorb auf dem Rücken; denn kein ordentlicher Pilzsucher steckt die Pilze in einen Sack. Ein Messer hatten sie nicht. Nur Stümper schneiden die Pilze ab; Pilze müssen abgedreht werden." "Er grub das Myzel, ein fadenartiges Geflecht, das eigentlich der wahre Pilz ist, mit größter Vorsicht aus der Erde." "Hast du wieder Giftpilze mitgesammelt?" fragte Böhm . "Was heißt Giftpilze? Richtige Giftpilze zerstöre ich. Aber was man so in Laienkreisen ,Giftpilze' nennt, ist noch lange nicht ungenießbar. Da, sieh dir zum Beispiel diesen Pilz an." "Stockmorchel," sagte Böhm, "giftig 1" "Ach was, giftig! Natürlich ist sie giftig. Ihr starker Giftstoff heißt Hellvellasäure. Kochst du aber den Pilz mit Salzwasser und gießest das Wasser weg, dann wird aus der Stockmorchel ein wertvoller Speisepilz. Oder hier der Ziegenbart! Die Leute lassen ihn stehen. Und doch ist er jung sehr wohlschmeckend; wird er allerdings alt, dann ist's vorbei. Und hier der Eierbovist! Solange sein Fleisch weiß ist, ist er wohl zu gebrauchen, später nicht mehr. Man muß das halt verstehen, nicht nur alte Marktweiber befragt haben, die außer dem Steinpilz, dem Champignon, dem Reizker und dem Eierschwamm nichts kennen. Man muß das studieren und dann am eigenen Leibe ausprobieren." Eigenartig ist es, wie Paul Keller in seiner Dorfgeschichte das Pilzsammeln motiviert. "Und soll ich das einzige, was mir noch Vergnügen macht, aufgeben das Pilzesuchen? Wer ein schweres Herz hat, einen kranken Gedanken, der soll Pilze suchen gehen. Da muß man aufpassen, das lenkt ab." "Ja," sagte Böhm, "bei uns in der Stadt war ein Arzt, der verordnete allen, die trübsinnig waren, Pilze zu suchen. Lasse dir das einzige Vergnügen, das du hast, nicht nehmen." Daß aber Paul Keller zugleich mit der Stockmorchel (er meint die Speisemorchel, Hellvella esculenta, was aus der Zubereitungsvorschrift hervorgeht), einem richtigen Frühlingspilz, auch den Steinpilz, Edelpilze, Parasole, Graukappen und Reizker, also richtige Sommer-und Herbstpilze, sammeln läßt, dürfte selbst für die dichterische Freiheit unserer modernen Schriftsteller etwas zu weit gehen. Eine solche Unmöglichkeit wäre fast vergleichbar mit den Widersprüchen, starken Anachronismen, wenn in demselben Romankapitel die gleichen Sportsfreunde morgens rudern und am Mittag Schlittschuh laufen, wenn ein lustwandelndes Paar Schlüsselblumen und Astern zum lieblichen Strauße windet; Sport ist Sport, Blumen sind Blumen, und Pilze sind Pilze. In Paul Kellers krasser, aber lebenswahrer Bauerngeschichte, einem Tristan- und Isoldemotiv, wird der gutmütige, alte Bauer von der jungen Bäuerin mit dem Knecht betrogen. Schließlich stirbt der Bauer eines jähen Todes; man vermutet Pilzvergiftung durch das ehebrecherische Paar. Nachzuweisen ist den beiden aber nichts. Der alte Freund des Bauern, zugleich sein Pilzsammler-Genosse, will die Täter auf psychologisch fein ausgeklügelte Weise (für einfache Leute vielleicht zu psychologisch ausgeklügelt) zum Geständnis bringen. "Er grub das Mycel aus der Erde, und dann ging es auf den Friedhof. Dunkel ragten die Gräberkreuze auf. Ein großer Korb mit präpariertem Pferdedünger stand bereits in einem Kirchhofwinkel. Während das Weib voll Entsetzen starr dastand, grub Franz Böhm Löcher in den Grabhügel des Emil Atzel, füllte Pferdedung hinein und durchsetzte ihn mit dem Mycel des giftigen Champignons. Das tat er an vielen Stellen. Dann holte er in einer Gießkanne, die auch bereit stand, Wasser aus der Friedhofspumpe und goß die bepflanzten Stellen an. "Wahrheit soll sein, Licht soll werden über den Tod meines Freundes. Für dieses Jahr war es zu spät; aber nächstes Jahr sollen aus Emils Grabe Giftchampignons wachsen. An Giftchampignons ist Emil gestorben." Im Jahr darauf entdeckt die junge Bäuerin plötzlich während des Gottesdienstes die zahlreichen Knollenblätterpilze auf dem Grabe ihres Mannes. Gellend schreit sie der Gemeinde zu: "Pilze! Pilze! Giftige Champignons! Sie wachsen auf des Bauern Grabe. Wachsen aus dem Grabe heraus, weil ich weil ich den Bauern umgebracht habe mit Pilzen, mit giftigen Pilzen ich habe sie ihm in seine Bratpfanne geschnitten. Pilze, giftige Pilze aus dem Grabe heraus wachsen sie." Es ist also dem Freund gelungen, die Verbrecherin durch ihr eigenes Geständnis zu überführen. Der Dichter hat sich hier aber wieder eine ganz außerordentliche Freiheit erlaubt. Daß man Champignons, Düngerfreunde, leicht auf Pferdemist züchten kann, ist eine bekannte Tatsache. Die "Giftchampignons", die Knollenblätterpilze, sind aber keine Düngerfreunde; ihre Gegenwart ist an die Gemeinschaft mit lebenden Bäumen gebunden; der grüne Wulstling liebt die Nachbarschaft von Eichen, der gelbe Knollenblätterpilz hält sich mit Vorliebe im Kiefernwald auf. Es ist also eine ganz neue, dichterische Entdeckung, daß der Knollenblätterschwamm auch mit Pferdemist kultiviert werden kann. Ebenso scheint sich der Dichter im unklaren zu sein über die außerordentlichen Schwierigkeiten der Pilzkenntnis und der Pilzkunde. "Im ganzen Deutschen Reiche gab es kaum einen Pilzkenner, wie Emil AtzeI; der täuschte sich nicht !" Weiß doch heute noch nicht einmal die Wissenschaft, alle unsere Tausende von Pilzen mit Namen zu benennen und die einzelnen Arten in schwierigen Gattungen sicher voneinander abzugrenzen. Quelle: Zeitschrift für Pilzkunde 1928 |