Ein neuer Lebensraum für Pilze: Mulchbiotope Speisemorchel Morchella esculenta Foto: Fredi Kasparek Wer Pilze sammeln möchte, geht dazu im Normalfall in den Wald oder auf die natürlich gedüngte Champignonwiese. Aber wußten Sie, daß Sie unter Umständen nur bis zu Ihrem Vorgarten gehen müssen, um eine nie gekannte Formen- und Farbenpracht zu bewundern? Sie brauchen dazu nicht einmal bis zum Herbst zu warten, denn eine Reihe von Pilzarten erscheint bereits im Frühjahr. Die Rede ist von partiell vegetationsfreien Sonderstandorten wie es gemulchte Beete, mit Holzschredder bedeckte Vorgartenanlagen und öffentliche Strauchrabatten sind. Die dort zu beobachtende Artenfülle an Pilzen wird im gleichen Maß üppiger, wie das Mulchen zum Zwecke der Wildkrautunterdrückung an Popularität gewinnt. Es ist dabei keineswegs egal, ob zum Abdecken der Beete Holzmulch oder Rindenmulch verwendet wurde und ob dieser von Nadel- oder von Laubgehölzen stammt. Mit der Art und Zusammensetzung des Mulchbelages ändert sich auch die Pilzgesellschaft, die sich darauf einstellt. Die Frage, was denn die Pilze in den Bröseln tun, ist leicht beantwortet: Sie zerlegen das Holz wieder in seine Grundbestandteile. Gäbe es die Pilze nicht, würden die Holzbestandteile auch nicht verrotten. Das ist im Vorgarten nicht anders wie im Wald, wo die Pilze eine der wichtigsten Rollen aller Lebewesen innehaben: Als Müllentsorger. Aber welche Pilzarten erscheinen nun in den neu entstandenen Lebensräumen? Als erste im Jahresablauf - und für Speisepilzliebhaber sicher besonders interessant - die Speise- und Spitzmorcheln Morchella conica und Morchella esculenta. Sie dürfen bereits ab April bis weit in den Mai hinein erwartet werden, ganz besonders im ersten Frühjahr nach dem vorjährigen Mulchen. Sie erscheinen dann manchmal in ungeahnten Massen und bieten für einige Mahlzeiten "Delikatessen satt". Nutzen Sie diese Schwemme, denn im nächsten Frühjahr ist es aller Wahrscheinlichkeit vorbei damit. Denn: Morcheln und ihre Verwandten sind besonders konkurrenzschwache Organismen, die nur auf jungfräulichen Substraten Fuß fassen und zur Fruktifikation gelangen. Sie erliegen schon bald der sich einstellenden Konkurrenz anderer Pilze oder Pflanzen. Morcheln zu erkennen ist trotz der Farben- und Formenvariabilität gar nicht so schwer: Sie haben eine wabenartig gekammerte Oberfläche und sind innen von Kopf bis Fuß hohl. Zu verwechseln sind sie höchstens mit den potentiell tödlich giftigen Lorcheln (Gyromitra esculenta), die aber eine hirnartig gewundene Oberfläche haben. Wenn sie im Rindenmulch wachsen, was durchaus vorkommen kann, dann fast immer in der Nähe von Kiefern. In letzter Zeit sind auch so seltene Vertreter der Pilzflora wie z.B. die Fingerhutverpeln (Verpa digitaliformis) im Rindenmulch aufgetaucht. Die zunehmende Häufigkeit dieser geschützten Kleinodien hängt sicher nicht zuletzt damit zusammen, daß das Angebot an geeigneten Mulchbiotopen in den letzten Jahren sprunghaft angestiegen ist. Das, was sich im Anschluß an die Morchelzeit einstellt, ist nicht weniger attraktiv, wenngleich es auch für Speisepilzsammler manchmal etwas zu wünschen übrig lässt. Insgesamt wurden bereits über 100 Arten in diesem sich ausbreitenden Lebensraum festgestellt. Darunter so spektakulär anmutende Pilze wie der Orangerote Träuschling Stropharia aurantiaca. Ob er essbar ist, hat wohl noch kaum jemand ernsthaft probiert, aber viel passieren kann vermutlich nicht. Seine essbaren Gattungsverwandten wie der Grünspan-Träuschling Stropharia aeruginosa wachsen ebenfalls hier und der Riesen-Träuschling Stropharia rugosoannulata, der als "Braunkappe" auf Stroh gezüchtet werden kann, breitet sich mit Vehemenz auf den Holzhäckseln aus. Als ganz neu eingewanderte Art wurde in Deutschland erst vor wenigen Monaten der Üppige Rübling Gymnopus luxurians festgestellt, ein Verwandter des bekannten Waldfreundrüblings Gymnopus dryophilus. Ursprünglich in Amerika zu Hause, fand er im Rindenmulch eine willkommene Heimat und bildet hier riesige Fruchtkörperbüschel, die bis zu 2 kg schwer werden können. Ich habe ihn übrigens probiert: Er ist essbar und durchaus wohlschmeckend. Ganz anders als der Unverschämte Rübling Gymnopus impudicus: Er stinkt bestialisch nach faulem Kohl mit Knoblauch und schmeckt auch nicht besser. Auch er fühlt sich im Geschredderten sichtlich wohl. Der Anlaufende Egerlingsschirmpilz, auch Büscheliger Egerlingsschirmpilz Leucoagaricus americanus hat eine große Ähnlichkeit mit dem Parasol oder Riesenschirmpilz Macrolepiota procera, unterscheidet sich von ihm aber durch das beim Durchschneiden sofort chromgelb anlaufende Fleisch. Mancherorts wird der Pilz gegessen, aber nicht von jedermann vertragen. Wer es dennoch versucht, kann feststellen, daß sich sein Fleisch in der Pfanne von gelb nach leuchtend rot verfärbt. Ein Speisepilz für Aberteuerlustige also. Auf meinen Organismus wirkt er eindeutig giftig. Der Gold-Mistpilz Bolbitius titubans heißt so, weil er gerne auf Mist wächst. Aber auch im Rindenmulch fühlt er sich zu Hause, ebenso wie in Holzschredder und anderen Debris. Seine Fruchtkörper sind dort aber nicht immer so leuchtend dottergelb wie bei der Normalform, sondern häufiger intensiv zitronengelb. Es fällt schwer, unter den vielen Mulchbewohnern eine Auswahl zu treffen, könnte man doch damit doch einen ganzen Tintling füllen. Vielleicht sei einer zum Schluß besonders hervorgehoben: Der nur 1 cm große Tiegelteuerling Crucibulum laeve, der zu Tausenden ganze Flächen dicht an dicht überziehen kann. Seine Verbreitungsstrategie macht ihn so interessant: Die münzenförmigen weißlichen Sporenbehälter in den Tiegelchen (Peridiolen) werden von hineinklatschenden Regentropfen herausgeschleudert, heften sich mit einer Art "Nabelschnur" an den nächsten Grashalm, der alsbald von einem Tier gefressen wird. Wenn die Sporen dann andernorts ausgeschieden werden, dann ist der Pilz vielleicht schon bald in Nachbars Vorgarten zu bewundern. Eine andere Theorie besagt, dass der Pilz eine Art "Samen-Mimikri" betreibt: Der Vogel nimmt die Peridiolen als vermeintlich essbare Samen auf und schleudert sie weg, weil sie eben doch nicht essbar sind. Hier ein interessanter Bericht zu dieser Theorie aus der Mycologia Bavarica dazu. |