Behangener Faserling Psathyrella_candolleana
Behangener FaserlingPsathyrella candolleana


Die Beschreibungen Michaels waren ja durchaus unzulänglich, nicht bloß weil sie zu knapp waren, sondern weil sie vielfach ein seltsames Gemisch aus Literatur und Natur darstellten, besonders dann, wenn beide nicht recht zusammenstimmen wollten. Ich nehme den Hut ab vor der riesenhaften Arbeit, die in dem neuen Werk steckt. Schulz ist ein sehr gewissenhafter Arbeiter, man spürt auf jeder Seite fleißigstes Studium ebenso der Natur wie der Literatur.
Auch der Fachmann erstaunt immer wieder über diese oder jene gelehrte Notiz, die ihm neu sein wird; manchmal, so bei dem 14 Seiten umfassenden Lexikon der lateinischen Artnamen, will es ihm an philologischer Gelehrsamkeit und Gründlichkeit für so ein Taschenbuch des Guten fast zu viel erscheinen. So ist auch für den Fachmann das Buch zu einer Fundgrube geworden. Schulz war vor eine schwierige Aufgabe gestellt: es waren über 300 erstklassige Bilder vorhanden, die verlegerisch ein großes Kapital darstellten, wissenschaftlich die besten Naturdokumente hätten sein können, wenn sie bloß entsprechende und dabei sicher dazu gehörige Beschreibungen gehabt hätten. Zum Unglück war bei rund einem Siebentel aller Bilder die Bestimmung zweifelhaft, wenn nicht falsch. Nun weiß jeder Spezialist, daß an sich schon bei vielen Arten die Bestimmung, d. h. die Einreihung in den Friesschen Namenkatalog z. Z. noch eine recht unsichere Sache bleibt, selbst wenn der Pilz in natura vorliegt. Und nun gar die Bestimmung nach schlecht beschriebenen Bildern!
Man möchte wünschen, Schulz hätte von dem Problematischen seiner Arbeit mehr verraten.
Bei der Revision der Michaelschen Bestimmungen kam ihm zu statten die Deutung, die Ricken den Bildern gegeben und in der 2. Auflage des Vademekum veröffentlicht hat. Leider vermißt man bei R. Schulz die gebührende Anerkennung für Rickens Werk, trotzdem er in nicht weniger als 34 Fällen, wo er die Tafeln anders als Michael bestimmt, Ricken stillschweigend gefolgt ist, zum Teil auch da, wo Rickens Deutung sehr fragwürdig ist, wie bei dem vermeintlichen Bild von Tricholoma leucocephalum Nr. 31, das wohl Collybia maculata darstellt. Wenn er, soviel ich sehe, in 13 Fällen von Rickens Deutung abweichen zu müssen glaubte, so wäre es doch nicht nötig gewesen, jedesmal so oft er Rickens Namen erwähnt, auch in der Literaturangabe, von "Fehlbestimmungen", "falschen Zitaten", "ungenügender Berücksichtigung der Literatur" zu sprechen. Um die 13 Fälle, wo R. Schulz von Ricken abweicht, im einzelnen zu besprechen, so will ich von 5 ohne weitere Untersuchung voraussetzen, daß seine Deutung zutreffender sei. Das ist sicher der Fall bei Hydrocybe saniosa 203 Schulz wie Michael, wo Ricken ganz unverständlicherweise lnoloma arenatum vermutete (ich möchte hier fast an ein Versehen glauben). Die Deutung der Russula-Tafel 72 von Russula rubra Mich. auf Russula emetica Schulz statt Russula sanguinea Ri. ist ebenfalls wahrscheinlicher, hier handelt es sich übrigens ebenso wie bei der Hygrocybe-Tafel 242 (Mi.: ceraceus, Ri.: obrussea, R. Sch.: amoena) nicht um verschiedene Deutung des Bildes, sondern des Friesschen Namens. Die Umdeutung der Lactarius-Tafel 216 von Mich.: plumbea (Ri.: umbrinus ") auf Lactarius fuliginosus hat viel für sich, nur muß man ihm dann zutrauen, das auffallende Rotanlaufen des Fleisches übersehen zu haben.

Glücklicher mag auch die Deutung der Ritterlingtafel 129 (Mi.: Schumacheri, Ri.: Tricholoma acerbum) auf fumosum sein, aber doch nicht fumosum Fries, sondern fumosum Bres. (nur der hat die bezeichnende Randstreifung!).
Sechs weiteren Bildern, deren Deutung übrigens Ricken selbst zweifelhaft war, hat Schulz andere, nicht weniger zweifelhafte Deutungen gegeben, ohne freilich wie Ricken meist ein Fragezeichen dazu zu setzen; es sind das T. 52 Mi. und R. Sch.: Agaricus arvensis, Ri.: cretacea 1; T. 248 Mi.: Camarophyllus ficoides, Ri.: leporinus 1, R. Sch.: pratensis-Form, T. 222 Mi. und R. Sch.: subdulcis, Ri.: quietus1, T. 241 Mi. und Ri.: ravida (n. R. Sch.: fuscoochracea n. sp.; bei T. 169, von Mi. als Nolanea pascua, von Ri. als Entoloma jubatum gedeutet, wm Schulz auf dem Bild zwei verschiedene Pilze erkennen, Nolanea pascua und Entoloma sericeum, die selbst in der Natur meist nur durch Sporen und Geruch auseinander zu halten sind! Von 2 Bildern endlich möchte ich annehmen, daß ihre Deutung durch Schulz unmöglich ist: Nr. 186 Mi. und R. Sch.: Hypholoma epixanthum, Ri.: Hypholoma capnoides 1 und Nr. 184 Mi: Stropharia melanosperma, Ri.: semiglobata, R. Sch.: Stropharia coronilla (im Verzeichnis als merdaria angekündigt). Wenn mein epixanthum richtig bestimmt ist, wie ich es aus Steiermark hinreichend kenne, und es stimmt sowohl mit allen Beschreibungen wie mit dem Bild bei Ricken, dann kann ich mir nicht vorstellen, daß die Art auch so aussehen kann wie T. 186, die man am liebsten für den gewöhnlichen Schwefelkopf mit etwas rauchblättrig geratenen Lamellen halten möchte. Und T. 184: ich gebe zu, daß die größeren Exemplare für semiglobata nicht sehr typisch aussehen mögen; aber für eine coronilla-Form wird das Bild niemand gelten lassen, der nur die gewöhnliche Form kennt, und ein Anfänger, der die wahre coronilla gefunden hat und seine Bestimmung an dem Bild kontrollieren wollte, würde durch das Bild geradezu irre gemacht werden. Schulz hätte mindestens darauf hinweisen müssen, daß das Ringkrönchen gewöhnlich völlig anders aussieht. Dabei will ich nicht leugnen, daß es eine noch unbekannte Form oder Art geben mag, die eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Bild hat (vielleicht denke ich an denselben Pilz der Mark wie Schulz, seine Einreihung ist mir aber noch gänzlich problematisch). Fast noch unmöglicher ist die Deutung auf merdaria.
Wenn man einem angehenden Pilzjäger ein Buch empfehlen soll, ist entscheidend die Frage, ob das Buch seinen Inhaber vor gefährlichen Verwechslungen hinreichend schützt. Beim alten  Michael konnte man in dieser Hinsicht leider nicht völlig beruhigt sein. Das Bestreben, möglichst viele Pilze als eßbar zu bezeichnen, führte leicht zu einem gewissen unangebrachten Leichtsinn. Auch waren Verwechslungen wie Amanita spissa (red.: heute Amanita excelsa) und umbrina recht bedenklich und hätten auch dem Bearbeiter Bemerkungen wie zu Nr. 8 verbieten müssen. Daß die Neuauflage in dieser Hinsicht einwandfrei ist, braucht nicht erst gesagt zu werden. Trotzdem hätte ich noch manches anders gewünscht. In der Volksausgabe steht der Grüne Knollenblätterpilz (red.: Amanita phalloides) mit Recht an erster Stelle. Ich hätte aber auch fürs große Werk gewünscht, daß dieser Pilz und die Gattungsmerkmale der ganzen Giftfamilie so herausgearbeitet worden wären, daß keiner, der das Buch in der Hand gehabt, mehr einen Lamellenpilz gewagt hätte zu verspeisen, ohne diese Merkmale vorher sorgfältigst nachzuprüfen. Ich hätte bei spissa usw. mit roten Lettern beigefügt: Verwechslung lebensgefährlich. Ich hätte in einer besonderen Einleitung angegeben, auf welche ungefährlichen Massenpilze (vor allem Röhrlinge) der Anfänger sich zuerst beschränken soll, in welcher Reihenfolge er etwa allmählich sein Repertoire erweitern soll, bis er sich schließlich in gefährlichere Pilzgruppen hineingetrauen darf. Ich würde alles dransetzen, um für den 3. Band noch nachträglich ein gutes Bild vom Satanas (red.: Satanspilz Boletus satanas) zu bekommen, denn solange ein ängstlicher Anfänger diesen Pilz nicht zum Vergleich heranziehen kann, wird er die Sorge nicht loswerden. Vielleicht wäre es jetzt auch wieder an der Zeit, die scharfen Täublinge und Milchlinge, die erst "genießbar" ! eßbar! - werden, wenn man sie in viel Wasser, womöglich mehrmals und mit Natron kocht usw., von der Liste der Speisepilze zu streichen, wie ja sonst Schulz mit Recht vielfach Angaben über Eßbarkeit weggelassen hat. Bei Tricholoma gausapatum wie bei fumosum hätte ich statt "wahrscheinlich eßbar" eher gesagt: soll nach Literaturangaben (Dittrich bzw. Maire) giftig sein.

Edmund Michaels Rezension Teil 1 . Teil 3 . Teil 4 . Tintling 1997