Kahler Krempling Paxillus involutus Die immunhämolytische Anämie infolge nachhaltiger Sensibilisierung und persönlicher Disposition nach Genuss von Kahlen Kremplingen. (Vor dem Verzehr des Kahlen Kremplings wird ausdrücklich gewarnt) Der Kahle Krempling war über lange Zeiträume der "Brotpilz" schlechthin. Er ist es in vielen Regionen sogar nach wie vor, denn längst nicht alle Bewohner dieser Welt sind so satt wie wir... Viele verfügen vermutlich auch nicht über unseren Kenntnisstand. So manche Mitbürger der kriegsgeplagten Generation meiner Eltern waren allerdings froh, diesen Brotpilz gehabt zu haben und ich würde gerne einmal wissen, ob dem bis heute weltweit einzigen Todesopfer in Folge einer Kremplingsvergiftung ein anderer Mensch entgegensteht, der durch diesen Pilz dem Hungertod entgehen konnte. Ich vermute einfach mal (ein Plädoyer für die Pilze!), das es mehrere bis viele sind.... ... und wäre selbst sehr glücklich, wenn wir Kremplinge und andere Pilze niemals als Nahrungsmittel zu Überlebenszwecken bräuchten. Der leicht kenntliche und kaum verwechselbare Röhrlingsverwandte (Ordnung Boletales, Familie Paxillaceae) kommt in ergiebigen Mengen von April bis Dezember in allen möglichen Biotopen vor und nimmt mit zahlreichen Baumarten als Mykorrhizapartner vorlieb. Dass manche Menschen in Anbetracht der oft unglaublichen Massen an Fruchtkörpern eine Allergie entwickeln können, ist mir vor dem Hintergrund einer Sensibilisierung durch "zu lange und zuviel von einer Sorte" nur allzu verständlich. Nur: Ich könnte mir denken (und stimme damit mit Besl und Bresinsky überein), dass man eine solche Allergie potentiell auch gegen andere Massenpilze wie z.B. Violette Rötelritterlinge oder Hallimasch entwickeln könnte. Bei der Krausen Glucke (Sparassis crispa) zum Beispiel ist mir das Phänomen der heftigen allergischen Reaktion aus dem direkten Umfeld bekannt, wenn auch mit zum Glück glimpflichem Ausgang. Die Person, eine sehr naturverbundene Kollegin, suchte viele Jahre lang bevorzugt Krause Glucken und die sind in den hiesigen Kiefernbeständen gar nicht selten. Heute ist die Dame gegen jegliches Pilzeiweiß allergisch, selbst wenn getrocknete Steinpilze nur in der Soße mitgekocht und dann, ohne sie zu essen, herausgefischt wurden. Doch zurück zum Kahlen Krempling: Der Verzehr dieses Pilzes kann nach derzeitigem Kenntnisstand selbstverständlich nicht empfohlen werden, nicht einmal vor dem Hintergrund, dass trotz beachtlichen Aufwandes noch keine hitzestabilen Toxine darin gefunden wurden. Roh oder unzureichend gegart ist er zweifellos giftig und kann ein überaus heftiges gastrointestinales Syndrom auslösen. Darüber hinaus hat er - wenn auch nur vereinzelt - selbst im ausreichend gekochten Zustand eine so genannte immunhämolytische Anämie ausgelöst, vielleicht besser bekannt als "Paxillus-Syndrom". Ob der Pilz aber wirklich "tödlich giftig" ist... ? Zur möglichen Klärung dieser Frage die nachfolgenden Ausführungen: Den Kremplingen (Kahler Krempling, Erlen-Krempling, Großsporiger Krempling, Dunkler Krempling, Kurzstieliger Krempling, Samtfuß-Krempling und Muschelkrempling inclusive) erlag bisher erst ein einziger Mensch. Das war im Kriegsjahr 1944, also vor rund 60 Jahren. Der Mann, Julius Schäffer (geb. 1882) war ein leidenschaftlicher Pilzfreund, sogar Mykologe und Autor der berühmten Täublings-Monografie. Er hatte in seinem Leben schon sehr viele Kremplinge gegessen und liebte sie nach eigenem Bekunden wegen des säuerlichen Geschmacks. Irgendwann aber entwickelte er eine Abneigung infolge des reichlichen und langjährigen Genusses und dem - so seine Frau - "vielen Umgang mit den Pilzen". Dazu ein weiteres Zitat von Liesl Schäffer in der Z. Pilzk. 33/3-4 (1967): "Jeder Pilz, der untersucht wurde, wurde ja eingehend auf Geruch und Geschmack überprüft". Julius Schäffer mochte jedenfalls mehrere Jahre lang keine Pilze mehr essen, bis sie eines Tages, in besagtem Jahr 1944, auf seinen eigenen Wunsch hin, wieder auf dem Tisch standen. Soweit seine Frau, die 23 Jahre nach dem Tod ihres Mannes aus der Erinnerung heraus berichtete, dass es in diesem Jahr des Mangels kriegsbedingt selbst an der notwendigsten medizinischen Versorgung und an jeglichen Transportmöglichkeiten fehlte.... Die herbeigerufene Ärztin hatte nicht einmal einen Schlauch, um den Magen auszupumpen und in den folgenden drei Tagen kein Benzin, um den Kranken ins Krankenhaus zu befördern. Julius Schäffer, nun endlich im Krankenhaus, starb nach weiteren 17 Tagen, am 21.10.44, infolge einer "toxischen Vergiftung" (so die klinische Diagnose) an allgemeinem Versagen der Organe. Den blumig ausgeschmückten Informationen am Ende des referierten Berichtes (Eine Eiche, die gefällt wurde, ... vitaler Mensch etc... Pilze löschten sein Leben aus...) steht die mir vorliegende schriftliche Information eines integren, äußerst kenntnisreichen Professors und persönlichen Bekannten Julius Schäffers entgegen, dass Letzterer magenkrank war.... Ich möchte diese tragische Geschichte mit den vorstehenden Ausführungen keinesfalls in irgendeiner Weise verharmlosen, aber dennoch anmerken, dass sich auf diesen einzigen Fall die Aussage gründet: "tödlich giftig", und dass selbst die gezielte Suche engagierter Mykologen nach entsprechender Literatur und nach sonstigen Überlieferungen (priv. Mitteilung per Mail 2003), selbst in Zeiten der sekundenschnellen Verbreitung von Nachrichten über den ganzen Globus, weltweit kein einziges weiteres Todesopfer von Kremplingen zutage gefördert hat. Und zwar weder vor 1944 noch in den 60 Jahren danach bis heute. Weitere Anmerkungen: 1. Im Standardwerk "Giftpilze" (Besl, H. und Bresinsky, A. 1985) wird die seltene, durch den Kahlen Krempling ausgelöste immunhämolytische Anämie eher als Nahrungsmittelallergie denn als Pilzvergiftung eingestuft. Besl und Bresinsky betonen weiterhin, dass es charakteristisch ist, dass die Vergifteten bereits bei vorausgegangenen Mahlzeiten gewisse Unverträglichkeitsreaktionen feststellen konnten. (Die Betroffenen hatten außerdem stets über längere Zeiträume, oft über Jahre hinweg, Kremplinge zu sich genommen) . Die Autoren erwarten darüber hinaus auch bei anderen Pilzarten hämolytische Reaktionen (siehe dazu auch Winterstein 2000) und zitieren diese in einem weiteren, bis dato ebenfalls weltweit einzigen Fall, ausgelöst durch den Butterpilz (Suillus luteus). ' Mit glimpflichem Ausgang übrigens, denn sonst müsste der ja heute folgerichtig auch als "tödlich giftig" gelten. Also wenn ich die Mengen an Butterpilzen in den jungen Kiefernbeständen meines Bezirkes betrachte, dann wird mir schon schlecht bei dem Gedanken, die alle essen zu müssen. Auch hier kann ich mir eine allergische Reaktion infolge einer Übersättigung lebhaft vorstellen. 2. Am Tierversuch konnte laut Besl und Bresinsky, also bis 1985, trotz einschlägiger Ansätze noch keine immunhämolytische Anämie mit Kahlen Kremplingen provoziert werden. Erst 1987 gelang es W. Lasota Ratten mit getrockneten (also ungegarten!!!) Kahlen Kremplingen umzubringen. Zitat aus Kell (1991): "Wenn man dem Futter getrocknete Kremplinge beimischte, so starben alle Tiere innerhalb von 14 Tagen. Histopathologische Untersuchungen bewiesen weitgehend nekrotische Veränderungen der Schleimhäute des Verdauungskanals. In der Leber kamen ebenfalls starke nekrotische Veränderungen vor, insbesondere bei den Tieren, die zuletzt gestorben waren. In den Nieren trat granuläre Entartung und Teilnekrose der Oberhaut von Harnkanälen auf; auch Veränderungen im Blutbild wurden beobachtet." (Wieviele Tiere bei diesen Versuchen wohl mit welchen Mengen gefüttert wurden und wie lange welche Qualen ertragen mussten...????)* 3. Noch einmal: Bitte verstehen Sie diese Meinungsäußerung keinesfalls als Aufforderung zum Verzehr von Kahlen oder sonstigen Kremplingen, sondern nur als Versuch der Relativierung einer allzuoft und allzu unkritisch wiederholten Doktrin. Konsultierte Quellen: Besl, H. und Bresinsky, A. (1985): Giftpilze. Stuttgart Dörfelt, H. und Heklau H. (1998): Die Geschichte der Mykologie. Schwäbisch Gmünd. (In diesem Werk ist zwar Leben und Wirken Julius Schäffers kurz abgehandelt, nicht aber die Art seines Todes. Ich schließe daraus, dass die Autoren (denen der zuvor erwähnte Bericht von Liesl Schäffer gut bekannt sein dürfte) dem Kahlen Krempling als Todesursache nur eine sekundäre Bedeutung einräumen könnten.) Flammer, R. und Horak, E. (1983): Giftpilze - Pilzgifte. Stuttgart. Sobald mir die kürzlich erschienene Neuauflage dieses Buches vorliegt, werden etwaige weitere Erkenntnisse hier eingearbeitet. *** Kell, V. (1991): Giftpilze und Pilzgifte. Wittenberg Roth, F. et al (1990): Giftpilze - Pilzgifte. Landsberg Winterstein, D. 2000: Hämolysine in Pilzen. Attacken auf die Roten Blutkörperchen. Der Tintling 22 (Heft 4/2000:10-25 * Mit einem Extrakt von Grünlingen konnte man bei Mäusen angeblich eine Rhabdomolyse erzeugen ** Ich selbst kann bestätigen, sogar mit einem befreundeten Pilzkundler zusammen, dass der Grünling (und zwar die Varietät bei Espen), als wir ihn vor wenigen Jahren ein zweites Mal innerhalb von drei Tagen in Form einer Portion frischer, junger, gegarter Pilze essen wollten, einen schwachen, aber doch sehr unangenehmen, unspezifischen, leicht schwefligen Geruch verströmte. Eine dritte Person konnte dies hingegen nicht nachvollziehen. Wir aßen die Pilze darauf hin nicht, ganz einfach. *** Flammer, R. und Horak, E. (2003): Giftpilze - Pilzgifte. Muttenz. Auch gemäß diesem soeben eingegangenen Buch wird ausdrücklich bestätigt, dass es bislang erst einen einzigen Todesfall infolge der Immunhämolyse durch Paxillus involutus gab. Ingesamt seien weltweit lediglich 7 derartige Fälle dokumentiert, davon 6 mit guter Prognose. Flammer, R. und Horak, E. (2003): Giftpilze - Pilzgifte. Muttenz |